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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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zwei Telefonnummern notiert hatte.
    »Die erste ist die Nummer meines Vaters. Er müßte auf jeden Fall jetzt zu Hause sein. Vermutlich liegt er schon im Bett. Aber das macht nichts. Die andere ist die Nummer der Wilsons von unten. Wie ich Ihnen schon sagte, sind Joyce und ich zusammen zur Schule gegangen. Ich möchte Sie bitten, die beiden Nummern anzurufen.«
    Morse nahm den Zettel und schwieg.
    »Dann habe ich noch das hier.« Sie gab ihm einen Paß. »Er ist abgelaufen. Ich habe ihn nur einmal gebraucht, als ich im Juni vor drei Jahren in die Schweiz gefahren bin.«
    Mit einem Stirnrunzeln schlug Morse den Paß auf und blickte in das lächelnde Gesicht von Miss Yvonne Baker. Vor drei Jahren im Juni … da war Valerie noch in Kidlington zur Schule gegangen. Das war ein ganzes Jahr, bevor sie … Morse zog sich seinen Mantel aus und setzte sich wieder auf den Diwan. »Ich weiß, ich habe es nicht verdient, aber würden Sie mir trotzdem noch einen Whisky einschenken? Einen großen, wenn’s geht?«
     
    Auf dem Bahnhof Paddington erfuhr er, daß der letzte Zug nach Oxford vor einer halben Stunde abgefahren war. Er ging in den tristen Warteraum, legte sich auf eine der Bänke und schlief sofort ein.
    Um halb vier wurde er unsanft an der Schulter gerüttelt. Als er sich schlaftrunken aufsetzte, sah er vor sich einen bärtigen Wachtmeister stehen.
    »Es ist verboten, hier zu schlafen, Sir. Ich muß Sie bitten, woanders hinzugehen.«
    »Sie werden einem müden Mann doch nicht verwehren, sich ein bißchen hinzulegen?«
    Er hatte nicht übel Lust, dem Constable seinen Dienstausweis zu zeigen. Aber inzwischen wurden auf den umliegenden Bänken die anderen Schläfer ebenfalls geweckt, und er hätte sich geschämt, für sich eine Sonderbehandlung zu reklamieren.
    »Alles klar, Officer, ich gehe schon.« O Gott. Alles klar , genau das hätte Valerie Taylor jetzt auch gesagt. Er schob den Gedanken an sie beiseite und verließ mit müden Schritten das Bahnhofsgebäude. Er hoffte, daß Sie ihn auf Marylebone in Ruhe lassen würden. Vielleicht hatte er ja ein bißchen Glück … er konnte es dringend gebrauchen.
     
     

Kapitel Einundvierzig
     
    Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit?
    Johannes, 18,38
     
    Donald Phillipson machte sich große Sorgen. Der Sergeant war ausgesprochen korrekt gewesen, natürlich, sogar höflich; hatte von ›Routineuntersuchungen‹ gesprochen, das sei alles. Aber ihm war nicht wohl dabei, daß die Polizei ihm so nahe rückte. Ob ein Messer in der Schulkantine fehlte – völlig verständlich, da nachzusehen. Aber in seiner eigenen Küche! Es überraschte ihn nicht einmal sehr, daß er des Mordes für verdächtig gehalten wurde. Aber Sheila! Er konnte nicht mit ihr darüber reden, und falls sie davon anfinge, müßte er ihr ausweichen. Das Thema Valerie Taylor und dann der Mord an Baines lagen zwischen ihnen wie Niemandsland, isoliert, eingegrenzt und unbetretbar. Wieviel wußte Sheila? Hatte sie herausbekommen, daß Baines ihn erpreßt hatte? Ahnte sie etwa auch den beschämenden Grund dafür? Hatte Baines ihr selbst gar einen Hinweis gegeben? Baines! Gott lasse seine Seele verrotten! Aber was Sheila in der Mordnacht auch getan hatte oder vorgehabt hatte zu tun, es hatte überhaupt keine Bedeutung, und er wollte auch gar nichts davon wissen. Von welcher Seite man es auch ansah – er, Donald Phillipson, trug die Schuld an Baines’ Ermordung.
    Es kam ihm so vor, als ob die Wände des kleinen Büros sich allmählich immer enger um ihn schlossen. Der zunehmende Druck der vergangenen drei Jahre hatte sich auf ein unerträgliches Maß gesteigert; er hatte sich zu tief verstrickt in dieses Gespinst aus Heuchelei und Täuschung. Wenn er nicht den Verstand verlieren wollte, mußte er irgend etwas tun; etwas, womit er für seine Torheit und Sünde büßen konnte. Wieder mußte er an Sheila und die Kinder denken. Konnte er ihnen überhaupt noch ins Gesicht sehen? Unablässig tanzten seine Gedanken um einen Punkt. Von welcher Seite man es auch ansah – er ganz allein trug die Schuld an Baines’ Ermordung.
    Der Vormittagsunterricht war gleich zu Ende, und Mrs. Webb räumte gerade ihren Schreibtisch auf, als er durch das Vorzimmer kam.
    »Heute nachmittag bin ich nicht da, Mrs. Webb.«
    »Ich weiß, Sir, Dienstag nachmittags haben Sie ja dienstfrei.«
    »Äh, nein – ach richtig, wir haben ja Dienstag, äh … ich hatte das einen Moment vergessen.«
     
    Er hörte das Klingeln wie aus weiter Ferne. Zum

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