. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
in irgendeinem schicken Geschäft im Westend. Daß der neue Jahrgang der Schulabgänger noch nicht da war, erleichterte die Sache vermutlich. Trotzdem wirst du wahrscheinlich eine Referenz oder so etwas gebraucht haben, aber deswegen konntest du dich auch wieder an Phillipson wenden. Eine Steuerkarte und dergleichen wurde von dir nicht verlangt, es war ja deine erste Stelle.«
Morse wandte sich zur Seite und blickte auf das elegante Geschöpf neben sich. Wenn sie jetzt nach Kidlington zurückkehrte, würde kaum ein Mensch dort sie wiedererkennen. Sie hatten sie doch alle noch in Erinnerung, wie sie als Schulmädchen ausgesehen hatte, mit roten Stutzen und weißer Bluse.
»Sind Sie jetzt fertig?« fragte sie ruhig.
Morse’ Antwort war brüsk. »Nein, noch nicht ganz«, sagte er. »Wo warst du am letzten Montag abend?«
»Ich möchte wissen, was Sie das angeht.«
»Welchen Zug hast du genommen?«
Sie sah ihn völlig verständnislos an. »Was für einen Zug? Ich bin schon seit Ewigkeiten …«
»Willst du etwa leugnen, daß du hingefahren bist?«
»Wohin denn überhaupt?«
»Das weißt du doch selbst am besten. Vermutlich war es der 8.15 von Paddington, dann wirst du gegen 9.30 Uhr in Oxford gewesen sein.«
»Sie müssen verrückt sein. Ich war letzten Montag abend in Hammersmith.«
»Wo?«
»In Hammersmith. Da bin ich Montag abends immer.«
»Und was machst du da?«
»Müssen Sie das wirklich wissen?« Sie seufzte und zuckte die Achseln. »Wenn Sie darauf bestehen – also, ich gehe da zu einer Art Party.«
»Um wieviel Uhr bist du da gewesen?«
»Es fängt immer so gegen neun Uhr an.«
»Und du bist letzten Montag abend auch da gewesen?«
Sie nickte heftig.
»Und du bist dort jeden Montag?«
»Ja.«
»Und warum dann nicht heute?«
»Ich … nun, ich dachte … als Sie anriefen …« Sie sah ihn traurig an. »Ich hatte mir das Wiedersehen mit Ihnen anders vorgestellt.«
»Um welche Zeit sind diese Parties gewöhnlich beendet?«
»Gar nicht.«
»Du meinst, du bleibst die ganze Nacht dort?«
Sie nickte.
»Also Sex-Parties?«
»So könnte man sagen.«
»Ja oder nein?«
»Na, Sie wissen schon, das Übliche eben: zuerst Filme …«
»Pornofilme?«
Sie nickte wieder.
»Und dann?«
»Nun hören Sie doch schon auf, oder wollen Sie sich unbedingt quälen?«
Sie hatte ihn hellsichtig durchschaut, und er fühlte sich elend und verlegen. Er stand auf und sah sich suchend nach seinem Mantel um. »Ihnen ist hoffentlich klar, daß ich die Adresse brauche.«
»Aber das geht nicht. Ich …«
»Keine Sorge«, sagte Morse müde. »Ich werde nicht neugieriger sein als unbedingt nötig.«
Er ließ seinen Blick im Zimmer umherwandern. Die teuren Teppiche … die Möbel … sie mußte eine Menge Geld verdienen. Er wußte ja nun, wie. Und er fragte sich, ob ihr das Geld wirklich eine Entschädigung sein konnte für die unerfüllten Wünsche, die Enttäuschungen, die sie doch vermutlich genauso mit sich herumtrug wie er auch. Aber vielleicht waren sie beide ja auch ganz verschieden. Vielleicht war es nicht möglich, so zu leben wie sie, ohne daß man bestimmte Gefühle rigoros beiseite schob, bis man sie gar nicht mehr wahrnahm, oder bis sie aufhörten zu existieren.
Er blickte zu ihr hinüber. Sie saß vor einem kleinen Sekretär und notierte etwas, vermutlich die Adresse dieses Puffs in Hammersmith. Aber brauchte er sie wirklich? Er wußte doch auch so, daß es stimmte, daß sie an dem Abend tatsächlich dort gewesen war: auf dem Schoß irgendeines reichen geilen älteren Mannes, der, während er sich an irgendeinem schmutzigen Film delektierte, lüstern an ihr herumfummelte. Na und? Was war er denn anderes, als genau dies: ein geiler älterer Mann. Obwohl – vielleicht auch schon noch etwas mehr. Ganz war er den Empfindungen seiner jungen Jahre nicht untreu geworden.
Sie kam auf ihn zu, und einen Moment lang fand er sie wieder atemberaubend schön. »Ich bin sehr geduldig gewesen mit Ihnen, Inspector, finden Sie nicht auch?«
»Geduldig, ja, so könnte man es vielleicht nennen. Wenn auch nicht gerade besonders kooperativ.«
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Bitte.«
»Möchten Sie heute abend mit mir schlafen?«
Morse spürte, wie sein Mund trocken wurde. »Nein.«
»Ist das Ihr letztes Wort?«
»Ja.«
»Na schön.« Ihre Stimme klang jetzt energisch. »Dann werde ich jetzt zum Schluß wenigstens noch meine Kooperationsbereitschaft unter Beweis stellen.« Sie gab ihm einen Zettel, auf dem sie
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