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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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»Darüber habe ich noch nie nachgedacht.« Er verzog das Gesicht und schien angestrengt in seinem Gedächtnis zu kramen. Lewis wagte nicht zu atmen. »Aber ich glaube, Sie haben recht«, fuhr Godberry nach einiger Zeit fort. »Sie hat an dem Nachmittag etwas dabeigehabt. Eine Tasche. Nicht sehr groß. Sie hat sie in der linken Hand getragen, wenn ich mich recht erinnere.«
     
    Die wechselseitige Begrüßung in Phillipsons Büro verlief in freundlicher Atmosphäre. Morse bekundete durch ein paar Fragen höflich sein Interesse an der Arbeit der Schule. Scheint gut aufgelegt zu sein heute, dachte Lewis. Doch die Stimmung sollte bald umschlagen.
    Gerade hatte Phillipson noch einmal seiner Betroffenheit über den Tod von Chief Inspector Ainley Ausdruck verliehen, als Morse ihn unvermittelt unterbrach, ihn mit Valerie Taylors Brief konfrontierte und ihn ziemlich unwirsch, fast aggressiv aufforderte, ihn zu lesen.
    Phillipson hatte die wenigen Zeilen rasch überflogen.
    »Nun?« fragte Morse.
    Lewis hatte das Gefühl, der Direktor sei von Morses ruppigem Ton derart überrascht, daß das plötzliche Lebenszeichen seiner lange vermißten Schülerin bei ihm kaum eine Reaktion auslöste.
    »Nun was?« fragte Phillipson ebenso barsch zurück. Er war offenbar nicht so leicht einzuschüchtern.
    »Ist das ihre Schrift?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Warum fragen Sie nicht ihre Eltern?«
    Morse überging das. »Sie sind uns keine große Hilfe«, sagte er lapidar. Sein Ton deutete an, daß er mehr erwartet hatte.
    »Das kann ich nicht ändern.«
    »Gibt es hier vielleicht noch alte Klassenarbeitshefte von ihr, die wir uns ansehen könnten, um einen Vergleich zu haben?«
    »Das weiß ich nun wirklich nicht, Inspector.«
    »Aber es wird ja wohl irgend jemanden hier geben, der mir diese Auskunft geben kann.«
    »Baines eventuell.«
    »Dann bitten Sie ihn her.« Es klang fast wie ein Befehl.
    »Das wird sich leider nicht machen lassen. Baines hat frei. Dienstag nachmittags ist Sportunterricht, und …«
    »Ich weiß, ich weiß. Baines können wir also auch vergessen. Gibt es sonst noch jemanden?«
    Phillipson stand auf und öffnete die Tür zum Vorzimmer. »Mrs. Webb? Könnten Sie mal einen Augenblick kommen, bitte?«
    Kam es Lewis nur so vor, oder warf sie Morse bei ihrem Eintritt wirklich einen ängstlichen Blick zu?
    »Mrs. Webb, der Inspector möchte gerne wissen, ob wir irgendwo noch einige von Valerie Taylors alten Klassenarbeitsheften haben, und vor allem, wo. Was glauben Sie, besteht da eine Möglichkeit?«
    »Da müßte man mal in dem Raum nachsehen, wo wir die Schulbücher stapeln.«
    »Ist es üblich, daß die Schüler ihre alten Arbeitshefte in der Schule lassen?« schaltete Morse sich ein.
    »Nein, normalerweise nehmen sie am Schuljahrsende alle Hefte mit nach Hause, auch die Arbeitshefte. Aber Valerie Taylor hat ja ganz plötzlich mittendrin aufgehört. Alle ihre Sachen sind ja hier zurückgeblieben, und deshalb nehme ich an, daß man ihr Fach am Schuljahrsende leergeräumt und alles in den Raum mit den Schulbüchern …« Sie geriet plötzlich ins Stocken und sah hilfesuchend zu Phillipson hinüber.
    »Ja, das erscheint mir sehr einleuchtend, Mrs. Webb«, beruhigte dieser sie.
    Mrs. Webb schluckte ein paarmal und schien erleichtert aufzuatmen, als sie hörte, daß sie nicht mehr gebraucht werde.
    »Na, dann sehen wir uns den Raum mal an. Sie haben doch nichts dagegen?« sagte Morse.
    »Nein, natürlich nicht. Ich vermute, es wird dort ziemlich wüst aussehen. Zum Schuljahrsanfang geht immer alles ein bißchen drunter und drüber. Na, Sie wissen das ja sicher noch aus Ihrer eigenen Schulzeit.« Morse lächelte etwas, ließ sich aber nicht zu einer Stellungnahme herbei.
    Phillipson erbot sich, ihnen den Weg zu zeigen. Sie folgten ihm den Flur entlang und ein paar Stufen hinunter, dann wandte er sich nach rechts und führte sie durch einen leeren Klassenraum mit ordentlich hochgestellten Stühlen bis vor eine verschlossene Tür. Die ganze Schule schien verlassen, die Schüler waren wohl alle beim Sport. Ab und zu vernahm man von draußen durchdringende Begeisterungsschreie. Entgegen der landläufigen Meinung mußte es also doch eine Anzahl von Schülern geben, denen das Fach nicht verhaßt war.
    Phillipson holte sein Schlüsselbund aus der Tasche und schloß auf. Sie betraten einen kahlen, fensterlosen Raum, die Luft war stickig. Lewis sah mit geheimem Schauder auf die Berge eingestaubter Schulbücher und

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