. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
bat die beiden Männer, Platz zu nehmen. »Da haben Sie wirklich Glück gehabt«, fuhr er fort, »hätte gut sein können, daß man sie weggeworfen hätte.«
»Und wohin weggeworfen?« Morse bemerkte selber, wie merkwürdig die Frage klang.
»Tja, man könnte sagen, sie werden begraben. Wir haben hinter der Schule einen Abfallhaufen, auf dem fast alles landet, was wir nicht mehr gebrauchen können. Es ist die einfachste Art, Bücher loszuwerden. Sie zu verbrennen ist nämlich gar nicht so einfach – besonders wenn es sich, wie bei uns, jedesmal um so große Mengen handelt.«
»Es sei denn, man hätte irgendwo einen großen Heizkessel«, sagte Morse.
»Nun ja, doch selbst dann …«
»Gibt es hier einen Heizkessel?«
»Ja. Aber …«
»Und darin läßt sich fast alles verbrennen, oder?«
»Ja, schon – aber ich wollte Ihnen gerade erklären …« Morse unterbrach ihn erneut.
»Auch eine Leiche?« Es war plötzlich ganz still im Zimmer, Lewis fröstelte.
Phillipson sah Morse ruhig an.
»Ja. Auch eine Leiche. Und es würden vermutlich keinerlei Spuren übrigbleiben.«
Morse nahm es mit unbewegtem Gesicht zur Kenntnis. »Ich hätte noch eine Frage wegen der Schulbücher, Mr. Phillipson.« Er deutete auf den Stapel. »Sind das alle ihre Lehrbücher, oder hat sie noch welche in anderen Fächern gehabt?«
Phillipson wußte es nicht und atmete insgeheim erleichtert auf, als es draußen klopfte. Das war hoffentlich Baines. Er hatte seinen Stellvertreter angerufen und gebeten, so schnell wie möglich zur Schule zu kommen. Er war es tatsächlich. Phillipson machte die Herren miteinander bekannt, und man begrüßte sich höflich.
Für Baines war Morses Frage nach Valeries Fächern kein Problem. Innerhalb von zehn Minuten war Morse mit allen Informationen versorgt, die er haben wollte: er besaß eine Kopie von Valeries Stundenplan, ebenso den Plan, in dem vermerkt war, an welchen Tagen Hausaufgaben gegeben wurden sowie eine Liste ihrer Lehrer. Was die Bücher anging, so schienen sie vollständig vorhanden zu sein. Morse machte ihm ein Kompliment für seine kompetente Hilfe, und der strenge Blick in Baines’ durchdringenden Augen wurde für einen Augenblick beinahe milde, als er sich geschmeichelt dafür bedankte.
Nachdem sich schließlich alle verabschiedet hatten, blieb Phillipson allein in seinem Büro zurück. In wenigen Stunden war aus dem Wölkchen eine drohende Gewitterwand geworden. Was war er doch für ein Narr gewesen!
Auf Sergeant Lewis wartete zu Hause Familie, und er war froh, als Morse ihn nach ihrem Besuch in der Schule gleich gehen ließ.
Dem Junggesellen Morse lag nichts an einem frühen Feierabend, und so fuhr er noch einmal ins Präsidium. Er freute sich sogar darauf, noch weiter an dem Fall herumzuknobeln.
In seinem Büro nahm er sich als erstes Valeries Stundenplan vor. Am Dienstagvormittag hatte sie immer vier Stunden Unterricht gehabt.
09.15 – 10.00 Regionalstudien
10.00 – 10.45 Technisch-naturwissenschaftlicher Unterricht
10.45 – 11.00 Pause
11.00 – 11.45 Soziologie
11.45 – 12.30 Französisch
Was heute so alles unterrichtet wurde! Hinter diesen sogenannten Regionalstudien verbarg sich doch bestimmt die gute alte Heimatkunde mit gelegentlichen Besuchen bei der städtischen Gasanstalt, der Feuerwache und dem Klärwerk. Soziologie war auch so ein merkwürdiges Fach. Alle seine Gespräche mit Soziologen hatten ihn in diesem Eindruck nur bestärkt. Weder hatten sie ihm klarmachen können, womit sie sich eigentlich befaßten, noch, welcher Methoden sie sich bedienten – wenn überhaupt. Bei dieser Fülle von Pseudodisziplinen war es ja kein Wunder, daß für die traditionellen Fächer, an denen er seinen Geist geschult hatte und die er für schlechthin unverzichtbar hielt, im Stundenplan kein Platz mehr war. Nur Französisch war noch übrig. Da gab es doch, wenigstens in der Grammatik, ein festes System von Regeln, obwohl er seine Vorbehalte hatte gegenüber einer Sprache, in der so verschiedene Wörter wie donne, donnes und donnent gleich ausgesprochen wurden. Immerhin, verglichen mit Regionalstudien und Soziologie … Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Hausaufgabenplan zu. Die Französischhausaufgaben sollten jeweils am Freitagnachmittag gestellt werden und wurden wahrscheinlich am darauffolgenden Montag eingesammelt und korrigiert. Morse vergewisserte sich auf dem Stundenplan. Ja, montags in der dritten Stunde war Französisch. Am Dienstag wurden die Hefte dann
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