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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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überrascht an. »Wieso?«
    »Nun, hier steht, sie sei, nachdem sie sich von ihrer Mutter verabschiedet hatte, nicht mehr gesehen worden.«
    »Ist sie auch nicht.«
    »Und was ist mit dem Verkehrslotsen?«
    »Dem was ?«
    »Dem Verkehrslotsen. Der wurde doch in den Akten erwähnt.«
    »Ah ja? Daran kann ich mich gar nicht erinnern.«
    »Sie wirken heute morgen auch ein bißchen müde, Sir.«
    »Müde? Ach, Unsinn. Wird Zeit, daß Sie Ihr zweites Bier kriegen.« Morse trank sein Glas aus, schnappte sich auch das von Lewis und ging zur Bar. Eine elegant gekleidete Frau, etwas rundlich, aber mit schlanken, wohlgeformten Beinen, hatte sich gerade einen doppelten Whisky geben lassen und war dabei, ihn mit etwas Wasser zu verdünnen. An ihrer linken Hand glitzerten zwei auffallende Brillantringe.
    »Ach, Bert, und dann noch zwanzig Embassy , bitte.« Der Wirt griff hinter sich ins Regal und schob ihr die Packung über den Tresen. Er kniff die Augen zusammen, während er überschlug, was sie zahlen mußte, nahm ihre Pfundnote, gab ihr heraus, bedankte sich und wandte sich dann Morse zu.
    »Noch mal dasselbe, Sir?«
    Als sich die Frau umdrehte, hatte Morse das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben. Er vergaß selten ein Gesicht. Wahrscheinlich lebte sie hier in Kidlington, und er war ihr schon einmal auf der Straße begegnet. An seinen Platz zurückgekehrt, behielt er sie verstohlen weiter im Auge, so daß Lewis aufmerksam wurde und auf falsche Gedanken kam. Gegen Morses Geschmack war ja gar nichts einzuwenden, sah ganz nett aus, die Frau. Vielleicht so Mitte Dreißig, hübsches Gesicht. Aber der Chef mußte ganz schön auf dem Schlauch stehen, wenn er hier am hellichten Mittag …
    Zwei über und über mit Zementstaub bedeckte Bauarbeiter kamen herein und marschierten geradewegs auf die Bar zu. Einer der beiden schien die Frau zu kennen, denn er begrüßte sie lauthals mit »Hallo, Grace, geht’s gut?« Morse war nicht allzu überrascht. Das Foto wird ihr nicht gerecht, dachte er. In Wirklichkeit sieht sie jünger aus.
     
    Gegen zwanzig nach eins fand Morse es an der Zeit zu gehen. Sie nahmen denselben Weg, durch den Hatfield Way, am Haus der Taylors vorbei und bis zur großen Straße, auf der um diese Zeit ein unablässiger Strom von Autos entlangraste. Hier bogen sie nach rechts und sahen schon von weitem den durch gelbe Blinklichter und Zebrastreifen kenntlich gemachten Fußgängerüberweg, den sie vorhin achtlos passiert hatten.
    »Ob er das ist?« fragte Morse beim Näherkommen. Auf der Mitte der Fahrbahn stand mit ausgestreckten Armen quer zum Verkehr ein Mann in weißem Mantel und mit Schirmmütze, in der Hand eine lange Signalkelle. Gerade überquerten einige Schulkinder unter seiner Obhut die Straße, die Mädchen in weißen Blusen, grauen Röcken und roten Kniestrümpfen, die Jungen, wie Morse mißbilligend bei sich feststellte, offenbar in den ältesten Klamotten, die sie hatten auftreiben können. Als der Lotse wieder auf den Bürgersteig zurücktrat, ging Morse auf ihn zu und sprach ihn in jenem onkelhaft-wohlwollenden Ton an, den er für vertrauenerweckend hielt.
    »Na, mein Lieber, machen Sie das hier schon länger?«
    »Etwas über ein Jahr.« Er war ein kleiner, rotgesichtiger Mann mit gichtgekrümmten Händen.
    »Kennen Sie Ihren Kollegen, der es vor Ihnen gemacht hat?«
    »Sie meinen den alten Joe? Klar kenne ich den. Der war ’ne ganze Zeit hier – mindestens fünf oder sechs Jahre.«
    »Und dann ist er in den Ruhestand versetzt worden?«
    »Na ja. Wie man’s nimmt. Er ist überfahren worden. Junger Bursche auf einem Motorrad. Armer alter Joe. Wurde zum Schluß eben auch schon ein bißchen langsam. Er war 72, als es ihn erwischte, hat sich die Hüfte gebrochen.«
    »Aber er ist doch hoffentlich wieder auf die Beine gekommen?« Morse wünschte von ganzem Herzen, wenn auch aus nicht völlig uneigennützigen Motiven, daß es dem armen alten Joe vergönnt sein möge, irgendwo, und sei es humpelnd, einen friedlichen Lebensabend zu genießen.
    »Ja. Der ist zäh. Ist jetzt im Altenheim in Cowley.«
    »Na, dann passen Sie mal schön auf, daß Ihnen nicht auch so etwas passiert«, sagte Morse. Inzwischen hatte sich ein neues Grüppchen wartender Schulkinder gesammelt, und Morse und Lewis ließen sich mit ihnen zusammen auf die andere Straßenseite geleiten. Morse blieb einen Augenblick stehen, um ihnen nachzusehen, wie sie an den Schaufenstern der vielen Geschäfte und an der öffentlichen

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