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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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der dort nichts zu suchen habe; als ob Baines mitbekommen habe, daß ich da sei, aber mich nicht sehen wolle … Ich ging jedenfalls zurück zur Tür und wollte noch einmal klopfen, aber da bemerkte ich plötzlich, daß sie nur angelehnt war. Ich schob sie etwas auf, steckte den Kopf durch den Spalt und rief seinen Namen.«
    Morse stand völlig bewegungslos und überlegte, wie er seine nächste Frage formulieren sollte. Die Antwort war ihm sehr wichtig, aber er wollte sie ihm nicht in den Mund legen.
    »Sie steckten also den Kopf durch die Tür.«
    »Ja, und ich war aus irgendeinem Grund fest überzeugt, daß er ganz in der Nähe sei.«
    »Können Sie sagen, wieso?«
    »Na ja, da war das Licht in seinem Arbeitszimmer und …« Er zögerte einen Augenblick und schien in seinem Gedächtnis nach dem subtilen Anzeichen zu suchen, das ihn daraufgebracht hatte.
    »Denken Sie sorgfältig nach«, sagte Morse. »Versetzen Sie sich noch einmal in die Situation zurück. Wie war das, als Sie vor der Tür standen? Lassen Sie sich Zeit. Stellen Sie sich vor, es sei Montag nacht …«
    Acum schüttelte langsam den Kopf und runzelte die Stirn. Eine oder zwei Minuten blieb er stumm.
    »Ich hatte einfach dieses deutliche Gefühl, daß er nicht weit sein konnte. Ich weiß noch, wie ich überlegt habe, ob er vielleicht nur einen Augenblick hinausgegangen wäre, möglicherweise zu einem Nachbarn …« Plötzlich fiel es ihm wieder ein, und er sagte schnell: »Ich hab’s. Jetzt kann ich mich wieder darauf entsinnen, wie ich darauf kam: Im Flur brannte Licht. Nicht nur in seinem Arbeitszimmer – auch im Flur. Und die Tür war eben nur angelehnt, da lag es nahe zu denken, daß er nicht weg war.«
    »Und dann?«
    »Ich bin gegangen. Er kam nicht, und es hatte ja keinen Zweck, weiter herumzustehen.«
    »Warum haben Sie mir das nicht erzählt, als wir miteinander telefoniert haben?«
    »Ich hatte Angst. Ich war schließlich am Montagabend da. Der Mord war vielleicht erst kurz vorher passiert. Wie sollte ich beweisen, daß nicht ich ihn umgebracht hatte. Es war mir einfach zu riskant, die Wahrheit zu sagen. Hätten Sie sich denn an meiner Stelle anders verhalten?«
     
    Morse fuhr in das Zentrum von Caernarvon und parkte seinen Wagen längs der Landungsbrücke unter den mächtigen Mauern von König Edwards I. schönster Burg. Ganz in der Nähe fand er ein China-Restaurant; und als ihm das Essen serviert wurde, stürzte er sich mit Heißhunger darauf, denn es war seine erste Mahlzeit seit vierundzwanzig Stunden. Als er fertig war, bestellte er Kaffee und ging in Ruhe noch einmal durch, was er bis jetzt in bezug auf Baines’ Ermordung erfahren hatte. Nach der zweiten Tasse war er zu der festen Überzeugung gelangt, daß Mrs. Phillipson und David Acum ihm im großen und ganzen doch die Wahrheit gesagt hatten über ihren Besuch in der Kempis Street, auch wenn die Gründe, die sie dafür genannt hatten, nicht so ganz plausibel schienen. Ihre Aussagen darüber, wie sie sich dort verhalten hatten, waren so klar und stimmten vor allen Dingen so miteinander überein, daß er das Gefühl hatte, er könne ihnen glauben. Zum Beispiel dieses Detail mit der Haustür, die einen Spalt offenstand – genau wie Mrs. Phillipson sie gesehen hatte, bevor sie in panischer Angst wegrannte –, nein, das konnte Acum sich nicht einfach aus den Fingern gesogen haben. Es sei denn … Es war das zweite Mal, daß er seine Schlußfolgerungen mit dieser ominösen Einschränkung versehen mußte, und das bereitete ihm Sorgen. Acum und Mrs. Phillipson. Ein Paar, das eigentlich nicht zusammenpaßte. War dennoch irgendein Verbindungsglied zwischen ihnen denkbar? Wenn ja, dann mußte es in der Vergangenheit geschmiedet worden sein, vor mehr als zwei Jahren, als Acum noch Lehrer in Kidlington war. Konnte es da etwas gegeben haben? Es war immerhin eine Idee. Aber als er in seinem Auto saß und den Parkplatz unterhalb der Burg verließ, entschied er nach erneutem Abwägen von Für und Wider, daß diese Idee wohl doch unsinnig wäre. Vor der Burg kam er am Lloyd-George-Denkmal vorbei, und als er die Stadt in Richtung Capel Curig verließ, wußte er überhaupt nicht mehr, was er nun denken sollte.
    Auf der Paßhöhe von Llanberis hielt er kurz an und beobachtete die winzigen Gestalten der Bergsteiger, die wegen ihrer leuchtend orangenen Anoraks gut zu sehen waren. In schwindelnder Höhe hingen sie am Seil vor den glatten, senkrechten Felswänden, die sich beiderseits der Straße

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