. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
Gunstbeweisen.«
»Was soll das heißen?« fragte sie giftig.
»Nun, ich …«
»Wenn ich ein paar Freunde zu einem Drink einlade, von meinem eigenen Geld wohlgemerkt, dann hast du dich da gefälligst rauszuhalten.«
»Ich wollte doch nur …«
Sie waren vor der Gartenpforte angelangt, und sie wandte sich zu ihm um und zischte ihn mit zornblitzenden Augen an: »Und wag’s ja nicht noch einmal, etwas von meinen Gunstbeweisen zu sagen. Als ob du da überhaupt mitreden könntest – du Versager!«
Am nächsten Wochenende wollten sie zum erstenmal seit sieben Jahren gemeinsam in die Ferien fahren. Doch die Zeichen standen nicht gerade günstig für einen schönen Urlaub.
Als Morse schließlich im Bett lag, war es schon halb zwölf. Er hatte reichlich viel getrunken, aber er fand, das müsse auch mal sein. Vermutlich würde er im Laufe der Nacht ein- oder zweimal aufstehen und zum Pinkeln gehen müssen, aber na ja, das nahm er in Kauf. Er fühlte sich rundherum zufrieden. Bier ersetzte Tranquilizer und Schlaftabletten. Eigentlich ungerecht, daß man es nicht auf Rezept bekam. Wohlig drückte er sich tiefer ins Kissen. Lewis war bestimmt schon längst im Bett. Morgen früh würde er bei ihm vorbeischauen. Und ganz egal wie schlapp sich der Arme noch fühlen mochte, die Nachricht, die er für ihn hatte, würde ihn hochreißen. Denn er, Morse, wußte jetzt, wer Valerie Taylor und, nicht zu vergessen, Reginald Baines ermordet hatte. Es war ein und dieselbe Person.
Kapitel Achtundzwanzig
Ein übel aussehend Ding, Herr, aber mein eigen
Shakespeare, Wie es euch gefällt, 5. Aufzug, 4. Szene
»Nun, Lewis, wie fühlen Sie sich?«
»Schon viel besser, danke. Ich glaube, es kann bald wieder losgehen.«
»Aber denken Sie daran – nur nichts überstürzen! Es gibt im Moment nichts, was anbrennen könnte.«
»Da bin ich mir nicht so sicher, Sir.« Mit so einer Antwort hatte Morse nicht gerechnet, und er sah den Sergeant neugierig an.
»Wieso?«
»Ich habe gestern versucht, Sie zu erreichen, Sir.« Lewis setzte sich auf und griff nach mehreren Blättern Papier, die neben ihm auf dem Nachttisch lagen. »Ich fand, ich hatte eine ganz gute Idee, vielleicht irre ich mich ja auch, aber … Ich habe alles mal aufgeschrieben. Hier –« er reichte sie Morse – »Sie können es ja einfach mal lesen.«
Morse blieb nichts anderes übrig, als seine eigene Neuigkeit erst einmal zurückzustellen. Er setzte sich auf die Bettkante. Der Kopf tat ihm weh; er hätte gestern doch nicht so viel trinken sollen. Er warf einen nicht sehr begeisterten Blick auf Lewis’ Notizen. »Alles?«
»Ja, bitte. Ich hoffe, es lohnt sich.«
Morse schickte sich drein und begann zu lesen, erst ziemlich gleichgültig, dann zunehmend gefesselt. Ab und zu erschien ein schwaches Lächeln um seine Mundwinkel, mehrere Male nickte er heftig zustimmend mit dem Kopf – und Lewis ließ sich erleichtert in die Kissen zurücksinken und fühlte sich wie ein Schüler, der für einen Aufsatz eine Eins bekommen hat. Als er mit Lesen fertig war, zog Morse einen Kuli aus der Tasche.
»Sie haben nichts dagegen, daß ich eine oder zwei kleine Änderungen anbringe, oder?« Systematisch ging er die Aufzeichnungen noch einmal durch, berichtigte die schlimmsten Rechtschreibfehler, setzte Punkte, fügte Kommata ein und brachte einige Sätze in eine plausiblere Reihenfolge. »So«, sagte er schließlich befriedigt, »jetzt ist es lesbar«, und händigte einem etwas bedröppelt aussehenden Lewis die überarbeitete Fassung seines Textes aus. So eine Mimose – anstatt sich erst einmal anzusehen, was für ein Meisterwerk er daraus gemacht hatte!
Zu Anfang schien alles, was wir wußten, darauf hinzude u ten, daß Valerie Taylor lebte. Schließlich hatten ihre Eltern einen Brief von ihr bekommen. Doch dann stellte sich he r aus, daß er wahrscheinlich gar nicht von ihr geschrieben worden war. Wir mußten also jetzt davon ausgehen, daß sie tot war. Der letzte, der sie lebend gesehen hatte, war ein gewisser Joe Godberry, ein halbblinder alter Mann, der e i gentlich schon längst sein Amt als Verkehrslotse nicht mehr hätte ausüben dürfen. Konnte er sich mit seiner Annahme, Valerie sei mittags gegen halb zwei an seinem Zebrastreifen vorbe i gekommen, geirrt haben? Ich denke, ja. Er behauptete zwar steif und fest, sie erkannt zu haben, aber ich halte es für gut möglich, daß er sich täuschte und Valerie mit jema n dem verwechselte. Chief Inspector Morse
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