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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

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Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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niedrig, aus rechteckigen grauen Granitblöcken gebaut und mit dem dunkellila Ffestiniog-Schiefer gedeckt. Der Rasen in den schmalen Vorgärten war um eine Nuance blasser als in England, der Boden sah karg und unfruchtbar aus. Das Haus der Acums hatte eine hellblau gestrichene Tür; die Ziffern 1 und 6 der Hausnummer erinnerten ihn in ihrer kunstvollen Schnörkeligkeit an victorianische Theaterprogramme. Morse klopfte einmal kräftig, und nach kurzer Zeit hörte er Schritte, und die Tür wurde geöffnet, jedoch nur einen Spalt. Der Anblick, der sich ihm bot, brachte Morse etwas aus der Fassung. Vor ihm stand eine Frau, das Gesicht eine weiße Maske mit Schlitzen für Mund und Augen. Sie hatte sich ein rotes Tuch um den Kopf geschlungen, ein paar Strähnen schauten darunter hervor, und die dunklen Haarwurzeln verrieten, daß das Blond (wie leider so oft!) nicht echt war. Er wunderte sich immer, welche Anstrengungen Frauen auf sich zu nehmen bereit waren, um ihre Schönheit über das ihnen von ihrem Schöpfer konzedierte Maß hinaus zu verbessern, und irgendwo in seinem Kopf tauchte plötzlich eine verschwommene Erinnerung auf an eine blonde Frau mit pickligem Gesicht auf einem der Fotos, die Mrs. Phillipson gezeigt hatte. Dies war also Mrs. Acum. Es war jedoch nicht in erster Linie die Maske, die ihn durcheinanderbrachte, sondern die Tatsache, daß sie sich nur ein Handtuch vorhielt. Und obwohl sie durch die Tür halb verdeckt war, wußte er, daß sie nackt war, und spürte, wie sich in ihm die Geilheit regte. Wie bei einem Ziegenbock, dachte er, das konnte nur vom Bier kommen.
    »Ich wollte Ihren Mann sprechen. Ich nehme an, Sie sind Mrs. Acum, oder?«
    Sie nickte, und die weiße Maske bekam um den Mund herum feine Risse. Lachte sie über ihn?
    »Kommt er zum Lunch nach Hause?«
    Sie schüttelte den Kopf. Das Handtuch, das sie sich vorhielt, geriet etwas ins Rutschen, so daß der Ansatz ihrer Brüste sichtbar wurde.
    »Er ist also jetzt noch in der Schule?«
    Wieder ein Nicken.
    »Dann entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie gestört habe, Mrs. Acum. Ich habe mir ja offenbar eine sehr unpassende Zeit … äh … Wir haben übrigens schon einmal miteinander gesprochen, falls Sie sich erinnern. Am Telefon.« Er verbeugte sich leicht. »Morse. Chief Inspector Morse aus Oxford.«
    Sie neigte den Kopf. Das rote Tuch um ihren Kopf schwankte, und die Maske platzte an einigen Stellen etwas ab. Sie hatte wohl versucht zu lächeln. Durch den Türspalt streckte sie ihm ihre Hand entgegen, und er roch den Duft ihrer Haut. Sein Händedruck dauerte länger als nötig. Der rechte Handtuchzipfel rutschte ganz herunter, und für einen kurzen, unvergeßlichen Augenblick starrte er schamlos und hingerissen auf ihre nackte Brust. Die Warze stand aufrecht, und er fühlte einen fast unwiderstehlichen Wunsch, sie anzufassen und zwischen seinen Fingern zu halten. Lud sie ihn ein, hereinzukommen? Die weiße Maske war völlig ausdruckslos. Sie zog das Handtuch etwas hoch und trat einen Schritt zurück. Es stand fifty-fifty. Aber er hatte etwas zu lange gezögert. Die Gelegenheit – wenn es eine gewesen war – war vorbei. Wie so oft hatte er wieder einmal nicht den Mut gehabt, seine triebhaften Wünsche in die Tat umzusetzen. Er drehte sich um und ging langsam zurück zum Prince of Wales . Am Ende der Straße blieb er stehen und sah sich um, doch die hellblaue Tür war geschlossen. Er verfluchte sein Gewissen, das ihn zu solch einem rückgratlosen Feigling machte. Aber vielleicht hinderte ihn auch sein Amt. Er hatte das Gefühl, als erwarteten die Leute von ihm, daß er als Chief Inspector seine niedrigen Instinkte unter Kontrolle halten konnte. Als ob der Rang in dieser Beziehung einen Unterschied machte! Selbst die großen Mächtigen hatten ihre Schwächen. O ja. Das beste Beispiel dafür war Lloyd George. Was dem so alles nachgesagt wurde! Und der war Premierminister gewesen …
    Er stieg in seinen Lancia. O Gott, welche herrlichen Brüste! Er saß einen Moment regungslos hinter dem Steuer und durchlebte die Szene noch einmal. Dann lächelte er. An diesen Brüsten hätte Constable Dickson seinen Helm aufhängen können. Ein geschmackloser Gedanke, der ihn aber gerade deswegen aufmunterte. Er startete, setzte vorsichtig aus der Parklücke und machte sich auf den Weg nach Caernarvon.
     
     

Kapitel Sechsundzwanzig
     
    … nicht mehr als eine Ausschmückung, um einer sonst nichtssagenden und wenig überzeugenden Schilderung einen Anschein

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