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Einkünfte, etwa Vergütungen für abgenommene Prüfungen oder für Nachhilfeunterricht, gehabt hatte; obwohl natürlich möglich war, daß Baines diese vor dem Finanzamt verheimlicht hatte, hielt Morse das doch für recht unwahrscheinlich. Das Haus gehörte ihm ebenfalls; die letzte Hypothekenrate war vor sechs Jahren gezahlt worden. Natürlich war es möglich, daß Baines von seinen Eltern oder von anderen Verwandten etwas geerbt hatte, aber die Tatsache blieb doch bestehen, daß er es geschafft hatte, mit sieben oder acht Pfund in der Woche auszukommen. Entweder war er ein fürchterlicher Geizhals gewesen, oder aber er hatte ziemlich regelmäßig von irgendwoher Bargeld erhalten – und das erschien ihm viel wahrscheinlicher. Man brauchte gar nicht besonders viel Phantasie, um gewisse Schlußfolgerungen zu ziehen. So wie er gewesen war, mußte es etliche gegeben haben, die ihn gehaßt hatten – einer von ihnen hatte es nicht mehr ertragen und ihm ein Küchenmesser ins Herz gestoßen.
Kapitel Einunddreißig
Ihr, Herr Gouverneur,
Habt diesen Höllenschurken zu bestrafen.
Setzt Zeit, Ort, Folter fest – und macht sie hart
Shakespeare, Othello, 5. Aufzug, 2. Szene
Als Morse gegen Viertel vor drei zurückkam, war Lewis auf und saß im Bademantel im vorderen Zimmer.
»Montag kann ich wieder anfangen, Sir. Wenn Sie wollen, auch schon Sonntag. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin.«
»Wenn wir Glück haben, ist bis dahin schon alles vorbei«, sagte Morse. »Aber wer weiß, vielleicht haben wir dann wieder einen neuen Verrückten, der meint, seine Probleme durch Mord lösen zu müssen.«
»Sie meinen also, wir stehen kurz vor der Aufklärung?«
»Ich war vorhin bei Strange. Morgen geht es los. Die Taylors werden festgenommen, und wir fangen an, die Müllkippe umzugraben, wenn nötig, das ganze Areal. Aber ich denke, George wird sehr schnell alles zugeben und uns sagen, wo wir sie finden. Seine Frau ist die Härtere von beiden.«
»Und Sie glauben, daß der Mord an Valerie und der an Baines zusammenhängen?«
Morse nickte. »Sie haben mich heute morgen gefragt, aus welchem Grund Baines den Brief geschrieben habe, und ich muß leider zugeben, daß ich da immer noch im dunkeln tappe. Denkbar wäre zweierlei: entweder, daß er uns von der Spur ablenken, oder im Gegenteil, daß er uns gerade auf sie aufmerksam machen wollte. Suchen Sie es sich aus. Aber wie auch immer, auf jeden Fall ist es ihm gelungen, sein Süppchen am Kochen zu halten.«
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie damit meinen, Sir.«
Morse informierte ihn über Baines’ finanzielle Verhältnisse, und Lewis pfiff leise durch die Zähne. »Damit steht also fest, daß er ein Erpresser war?«
»Jedenfalls bekam er von irgendwoher Geld. Vermutlich hatte er sogar mehrere Quellen.«
»Und eine davon war Phillipson.«
»Ja. Ich denke, er mußte jeden Monat eine gewisse Summe an Baines zahlen; keine Riesenbeträge, auf jeden Fall nicht so viel, daß er deshalb am Hungertuch nagen mußte. Ich schätze, es werden jedesmal so gegen zwanzig bis dreißig Pfund gewesen sein. Aber das werden wir bald genauer wissen. Meiner Meinung nach kann kein Zweifel daran bestehen, daß Baines ihn an dem Abend nach dem Vorstellungsgespräch sah, und zwar in weiblicher Begleitung, genauer gesagt in Begleitung Valerie Taylors. Wenn Baines gewollt hätte, wäre es ihm ein leichtes gewesen, Phillipson damals unmöglich zu machen, aber das war offenbar nicht sein Interesse. Dadurch, daß er seine Beobachtung für sich behielt, gewann er nämlich Macht über ihn, und das war ihm wohl sehr viel wichtiger.«
»Dann hatte Phillipson ja wirklich ein sehr gutes Motiv, um Baines umzubringen.«
»Durchaus, aber er hat es nicht getan.«
»Das klingt, als seien Sie sich da absolut sicher.«
»Bin ich auch«, sagte Morse ruhig. »Setzen wir unsere Überlegungen an diesem Punkt noch ein bißchen fort. Ich glaube nämlich, daß Baines an der Roger-Bacon-Schule noch ein zweites Opfer gefunden hatte.«
»Acum?«
»Ja, genau. Ich habe mich gleich gewundert, was in aller Welt ihn bewogen haben könnte, seine doch alles in allem recht aussichtsreiche Position dort aufzugeben, nur um eine ähnliche Stelle an einer ähnlichen Schule in der nordwalisischen Wildnis anzutreten – ein paar hundert Kilometer entfernt von seinen Freunden und den Abwechslungen, die eine Universitätsstadt wie Oxford zu bieten hat. Ich hatte deswegen gleich den Verdacht, daß es da in
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