. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
– so gefährlich war es nun auch wieder nicht. Sobald er im Haus war und die Tür zu …«
Lewis unterbrach ihn. »Aber wenn Sie an dem Dienstag damals auch miteinander verabredet waren, dann wäre es doch von Mrs. Taylor der reinste Wahnsinn gewesen, ihre Tochter ausgerechnet an dem Tag umzubringen.«
»Wahnsinn war es so oder so. Ich glaube, sie befand sich in einer Art Ausnahmezustand und hätte es auf jeden Fall getan, da hätte vorn die Polizei und hinten die Feuerwehr stehn können, das hätte sie nicht abgehalten. Ich werde Ihnen mal erklären, wie dieser Dienstag meiner Meinung nach ablief. Baines parkte wie üblich seinen Wagen – es gibt da so eine kleine unbebaute Fläche oberhalb vom Hatfield Way – und wartete darauf, daß Valerie ihr Mittagessen beendete und wieder ging. Zur üblichen Zeit verläßt auch tatsächlich jemand, der wie sie aussieht, das Haus und geht in Richtung Hauptstraße und Schule davon. Er nimmt jetzt natürlich an, die Luft sei rein, steigt aus seinem Wagen und schreitet voller Vorfreude die Straße hinunter, klingelt an der Haustür – und erlebt eine Enttäuschung. Ist seine spröde Geliebte (ich nehme zu ihren Gunsten an, daß sie tatsächlich spröde war) aus irgendeinem Grund für ein paar Minuten weggegangen? Eigentlich hätte er sie dann sehen müssen, aber vielleicht war er ja auch einen Moment lang unaufmerksam. Er geht also zurück zu seinem Auto, ärgerlich und frustriert, setzt sich hinein, fährt aber noch nicht gleich ab. Ein Instinkt sagt ihm, daß es sich lohnt, noch zu warten. Zehn Minuten später sieht er Mrs. Taylor – vermutlich in großer Eile – aus einer der Seitenstraßen kommen und in ihrem Haus verschwinden. Ist sie also über die Mittagszeit nicht dagewesen? Sehr ungewöhnlich. Und während er noch darüber grübelt, stutzt er auf einmal. Das ist aber merkwürdig. Valerie hatte, als er sie weggehen sah, eine Tasche dabei. Und Mrs. Taylor trug, als sie zurückkam, genau dieselbe Tasche in der Hand. Ahnt er da schon etwas? Schwer zu sagen. Geht er noch einmal zum Haus und klingelt? Wahrscheinlich. Sie wird ihm gesagt haben, daß sie heute keine Zeit für ihn habe, sich nicht wohl fühle, was weiß ich. Baines muß also abziehen und fährt nach Hause und fragt sich, was eigentlich los ist. Und dann am nächsten Tag erfährt er, daß Valerie seit gestern nachmittag verschwunden ist, und da wird er erst richtig neugierig …«
»Ob er die Wahrheit erraten hat?«
»Das nehme ich an.«
Lewis dachte einen Augenblick nach. »Dann könnte Mrs. Taylor ihn umgebracht haben. Vielleicht hat sie seine Besuche nicht länger ertragen und wollte ihm den Laufpaß geben, und er drohte, sich zu rächen, indem er uns informierte. Um das zu verhindern …«
»Nein, ich glaube eigentlich nicht, daß der Mord an Baines ein solches – fast rationales – Motiv hatte. Mir kommt es eher so vor, als sei er aus Haß und Abscheu umgebracht worden, so daß das Töten ein fast lustvoller Akt der Vergeltung war.«
»Aber Sie halten Mrs. Taylor für die Mörderin?«
Morse nickte. »Ich habe sie vor ein paar Tagen abends zufällig im Pub gesehen, und da hatte sie eine auffallend große Handtasche dabei. Ich hatte mich ja die ganze Zeit gefragt, aufweiche Art und Weise der Mörder ein so großes Messer mit sich herumschleppen konnte, ohne aufzufallen. Seit ich sie mit diesem Trumm von Tasche gesehen habe, weiß ich die Antwort. Darin hätte sie eine ganze Sammlung von Messern unterbringen können. Sie verließ den Bingosaal des Ritz so gegen neun, da konnte sie um Viertel nach in der Kempis Street sein. Baines dürfte etwas überrascht gewesen sein, als sie so unverhofft vor seiner Tür stand, aber nach dem, was zwischen ihnen war, wird er sie bestimmt trotzdem hereingebeten haben. Vielleicht hat er sich sogar über ihren vermeintlichen Besuch gefreut. Offenbar wollte er ihr ja etwas anbieten, denn er ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank, wollte vielleicht ein Bier für sie herausholen – und in dem Moment, wo er sich nach vorn beugt, zieht sie das Messer aus der Tasche und sticht zu.«
Lewis lehnte sich in seinem Sessel zurück und dachte nach über das, was er eben gehört hatte. Vielleicht stimmte ja sogar alles, aber ihm drehte sich der Kopf. Er fühlte sich müde, und er hatte wohl auch wieder etwas Fieber.
»Gehen Sie nach oben, und legen Sie sich hin«, sagte Morse, als könne er Gedanken lesen. »Für heute haben Sie sich schon genug zugemutet.«
»Ich
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