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Sache zu ernst. Morse trank seinen Whisky aus und warf Lewis einen fragenden Blick zu.
»Nun?«
»Phillipson, Sir?«
»Wäre möglich, aber ich bezweifle es. Ich glaube, der hatte seine Lektion weg.«
Lewis dachte angestrengt nach und verzog dabei grübelnd die Stirn. Konnte das sein? Gab es auf diese Weise eine Verbindung zu der anderen Sache? »Sie meinen also wirklich, daß sie mit Baines, Sir …? Ältere Männer hin, ältere Männer her, ich würde denken, daß keine Frau gern mit Baines …« Er mochte es nicht aussprechen. Der Gedanke war ihm zuwider.
Morse saß eine Weile in tiefstes Nachdenken versunken und starrte abwesend aus dem Fenster. »Ich habe es als Möglichkeit durchaus in Erwägung gezogen, aber ich glaube, Sie haben recht. Ich kann es mir auch nicht vorstellen, daß sie mit Baines ins Bett gegangen ist. Zumindest nicht freiwillig. Obwohl es eine Menge Dinge erklären würde.«
»Und außerdem meinten Sie doch vor einiger Zeit noch, daß Baines und Valeries Mutter …«
»Jaja, der Ansicht bin ich auch jetzt noch. Ich sagte ja auch schon, daß ich nicht glaube, daß es Baines war.« Er sprach sehr langsam, so als sei er abgelenkt durch eine neue Idee, die möglicherweise alles, was er eben gesagt hatte, wieder in Frage stellen konnte. Etwas unwillig zwang er sich, seine ganze Aufmerksamkeit wieder dem Gespräch mit Lewis zuzuwenden. »Wer käme denn Ihrer Meinung nach noch in Frage?«
Es war nicht unähnlich dem Wetten bei Pferderennen. Lewis hatte auf den Favoriten Phillipson gesetzt und verloren; daraufhin hatte er sich entschlossen, es mit einem Außenseiter zu versuchen, einem durchaus ernstzunehmenden Außenseiter – nämlich Baines –, und hatte wieder verloren. Jetzt war er ratlos, denn sehr viel mehr Pferde waren gar nicht im Rennen. Oder war er falsch informiert? »Sie sind mir gegenüber im Vorteil, Sir. Sie haben gestern mit Acum gesprochen. Ich finde, bevor Sie mich hier weiter raten lassen, sollten Sie erzählen, was Sie erfahren haben.«
»Lassen Sie Acum im Moment mal beiseite«, sagte Morse ohne weitere Erklärung.
Lewis blieb nichts anderes übrig, als sich noch einmal unter den bekannten Namen umzusehen. Aber eigentlich gab es da nur noch einen Mann, der in Frage kam, und der eigentlich auch nur theoretisch. Denn Morse konnte doch wohl nicht im Ernst … »Sie wollen doch wohl nicht sagen, daß … Sie denken doch nicht wirklich …? George Taylor, Sir?«
»Ich fürchte, ja, Lewis; und je schneller wir uns an diesen schlimmen Gedanken gewöhnen, um so besser. Schlimm – ich weiß; aber auch wieder nicht ganz so schlimm, wie es auf den ersten Blick scheint. Er ist schließlich nicht ihr richtiger Vater; wir haben es also nicht mit so etwas wie Inzest zu tun. Valerie wußte natürlich, daß sie nicht Georges leibliche Tochter war. Viele Jahre lang machte diese Tatsache für beide keinen großen Unterschied. George behandelte sie, als sei sie sein eigenes Kind. Aber dann kam Valerie in die Pubertät und begann sich zu entwickeln, bekam weibliche Formen. Und jetzt auf einmal herrschte zwischen den beiden doch ein anderes Verhältnis als sonst zwischen Vater und Tochter. Was sich genau abspielte, kann ich nicht sagen, aber soviel weiß ich: Das, was ich Ihnen hier eben erzählt habe, stellt ein überwältigend starkes Mordmotiv dar. Versuchen Sie sich einmal in Mrs. Taylors Lage zu versetzen. Erst nur eine Ahnung, dann ein Verdacht, der sich schließlich zur furchtbaren Gewißheit verdichtet, und an jenem Dienstag nachmittag holte sie sich von Valerie die letzte Bestätigung.«
»Das alles ist furchtbar«, bemerkte Lewis, »aber vielleicht sollten wir nicht zu hart über sie urteilen.«
»Mir müssen Sie das nicht sagen, Sergeant. Ich habe eher Mitleid mit ihr. Aber überlegen wir doch mal, wie es nach dem Mord weiterging. Als George Taylor an dem Abend nach Hause kommt, erfahrt er gleich zwei schreckliche Neuigkeiten: Seine Frau weiß Bescheid, und Valerie ist tot – von ihrer eigenen Mutter ermordet. Und er steckt, ohne es zu wollen, in dem ganzen Drama mit drin, denn sein Verhältnis mit Valerie ist die Ursache des ganzen Unglücks. Was bleibt ihm also übrig, als mit seiner Frau gemeinsame Sache zu machen. Hinzu kommt, daß er wie kein Zweiter in der Lage ist, ihr tatsächlich helfen zu können; denn er arbeitet auf einer Müllkippe und kann dort ohne große Schwierigkeiten alles mögliche verschwinden lassen, auch eine Leiche. George Taylor hat früher als
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