Wurzeln
das Holz, ohne recht zu wissen, wie er es auf dem Kopf befördern sollte, noch dazu so weit.
Unter den Blicken der älteren Jungen gelang es ihm und seinen Freunden einigermaßen, sich die Lasten aufzubürden, und sie folgten, so gut sie konnten, den Hunden und Ziegen, die den Heimweg besser kannten als ihre neuen Hirten. Zum schadenfrohen Gelächter der Älteren mühten Kunta und die anderen sich immer wieder, zu verhindern, daß ihnen die Last vom Kopf fiel, und nie zuvor hatte Kunta den Anblick des Dorfes so begrüßt. Er war jetzt völlig erschöpft, doch kaum waren sie ins Dorf gelangt, als die älteren Jungen aus Leibeskräften Warnungen und Anweisungen brüllten, umhersprangen wie die Verrückten und den zusehenden Erwachsenen in jeder Weise zu erkennen gaben, wie entsetzlich schwer es ihnen wurde, diese ungeschickten jungen Bengel zu brauchbaren Hirten heranzubilden. Kunta brachte seine Holzladung mit viel Glück zum Hof von Brima Cesay, dem arafang , der am folgenden Morgen die Schulausbildung Kuntas und seiner Altersgenossen in die Hand nehmen sollte.
Gleich nach dem Frühmahl fanden sich die neuen Junghirten auf dem Schulhof ein, mit einer hölzernen Schreibtafel, einem Federkiel und einem Stück Bambusrohr ausgerüstet, das Ruß enthielt, der mit Wasser zu Tinte vermischt werden konnte. Der arafang befahl ihnen, sich hinzusetzen, und schlug auch gleich mit seinem Stöckchen auf sie ein, weil sie sein erstes Kommando nicht so schnell befolgt hatten, wie er es wünschte. Er stellte ihnen finster in Aussicht, daß jeder, der unaufgefordert Lärm mache, das Stöckchen zu spüren bekommen und nach Hause geschickt würde. Das gleiche passiere jedem, der sich verspäte. Die Schule beginne nach dem Frühmahl und dann noch einmal nach der Rückkehr mit den Ziegen.
»Ihr seid keine Kinder mehr, ihr habt jetzt Pflichten, und die müßt ihr erfüllen.« Dies vorausgeschickt, kündigte er an, er werde der Klasse mehrere Verse aus dem Koran vorlesen, diese müßten sie auswendig lernen und aufsagen. Damit wurden sie entlassen, denn nun stellten sich die älteren Schüler ein, die ausgedienten Ziegenhirten. Die waren noch nervöser als Kuntas kafo , denn sie sollten ihre Abschlußprüfung machen, den Koran aufsagen und arabisch schreiben, und von dem Ergebnis hing es ab, ob sie in den dritten kafo aufgenommen würden oder nicht.
An diesem Tag waren Kunta und seine Altersgenossen erstmals ganz auf sich gestellt, und es gelang ihnen, die Ziegen auf die Weide zu treiben, wie es vorgeschrieben war, allerdings bekamen die Tiere wohl weniger zu fressen als sonst, denn Kunta und seine Genossen scheuchten sie immer wieder zurück, wenn sie sich neuen Weideplätzen näherten. Kunta kam sich allerdings noch gehetzter vor als seine Ziegen; wenn er versuchte, die Bedeutung der Veränderungen zu erfassen, die in seinem Leben vorgingen, kam es ihm vor, als müsse er etwas tun, an einen bestimmten Ort gehen. Da er aber tagsüber von den Ziegen in Anspruch genommen war, nach dem Morgenmahl und nach dem Ziegenhüten vom arafang und mit dem Erlernen des Gebrauchs seiner Schleuder in der kurzen Zeit, die ihm dann vor Dunkelwerden noch übrigblieb, kam er einfach nicht mehr dazu, gründlich nachzudenken.
Kapitel 11
Nach Mais und Erdnüssen war der Reis an der Reihe, und der war ganz und gar Frauensache. Weder halfen die Männer ihren Frauen bei der Reisernte noch die Knaben in Sitafas und Kuntas Alter ihren Müttern. Beim ersten Tageslicht konnte man Binta und ihre Freundin Jankay Touray auf dem Reisfeld sehen, wie sie tief gebückt mit der Hacke die langen, goldfarbigen Reisstengel lösten, die einige Tage zum Trocknen auf den Laufstegen ausgelegt wurden, bevor man sie im Kanu zum Dorf schaffte. Dort schichteten Mädchen und Frauen alles in den Vorratshäusern der Familien auf. Doch auch nach der Reisernte durften die Frauen nicht verschnaufen, dann mußten sie den Männern beim Baumwollpflücken helfen; die Baumwolle blieb bis zuletzt, denn sie sollte möglichst trocken sein, dann war es leichter, das für Näharbeiten benötigte Garn daraus herzustellen.
Zu dem jährlichen Erntefest, das sieben Tage währte, fertigten die Frauen neue Kleidungsstücke an. Kunta sah sich genötigt, an mehreren Abenden seinen kleinen Bruder zu hüten, weil die Mutter mit dem Spinnen der Baumwolle beschäftigt war. Es paßte ihm nicht, er hütete sich aber zu maulen. Allerdings war er versöhnt, als die Mutter ihn zu Dembo Dibba mitnahm, der Weberin
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