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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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konnten. Er war nur einige Male mit seinem Vater vom Dorf fortgegangen, noch nie aber so weit, wie die Ziegen ihn jetzt führten, zu ihrem Weideplatz, der an einer Seite vom Busch begrenzt war und auf der anderen von den Feldern. Die älteren Knaben sonderten die ihnen übergebenen Tiere aus und trieben sie auf die ihnen zugedachten Weideplätze. Die Hunde gingen zwischen den Ziegen umher oder legten sich in deren Nähe nieder.
    Toumani ließ sich endlich herab, Kunta zur Kenntnis zu nehmen, der hinter ihm dreinzottelte, behandelte ihn aber wie einen lästigen Käfer. »Weißt du, was eine Ziege wert ist?« fragte er und antwortete gleich selber, bevor Kunta gestehen konnte, daß er es nicht genau wisse: »Wenn du eine verlierst, wird dein Vater dir es schon zeigen!« Und dann begann Toumani, seinen Lehrling über das Ziegenhüten aufzuklären. Der erste Punkt war, daß gräßliche Dinge passieren würden, falls ein Junge aus Faulheit zuließ, daß eine Ziege sich von der Herde entfernte. Auf den Wald zeigend, sagte Toumani, dort drinnen und auch im hohen Gras wohnten Löwen und Panther, die sich auf dem Bauch anschlichen und mit einem einzigen Prankenschlag eine Ziege zerfetzen könnten, »und wenn ihnen ein Junge nahe kommt, gehen sie auch auf den los, der schmeckt nämlich besser als Ziegen!«.
    Kunta riß die Augen auf, und Toumani fuhr befriedigt fort: Schlimmer noch als Löwen und Panther seien toubobs und ihre schwarzen Gehilfen, die im hohen Gras auf Menschen lauerten und sie an einen entfernten Ort schleppten, wo sie verspeist würden. In den fünf Regen seines Hirtendaseins seien neun Knaben aus Juffure geraubt worden und noch viele mehr aus den Nachbardörfern. Kunta hatte keinen der geraubten Jungen gekannt, doch die Erzählungen davon hatten ihn so geängstigt, daß er sich tagelang kaum von der Hütte seiner Mutter weggetraut hatte.
    »Man ist nicht einmal innerhalb des Dorfes sicher«, fuhr Toumani fort, der offenbar Kuntas Gedanken lesen konnte. Er kenne in Juffure einen Mann, dessen ganze Ziegenherde von Löwen gerissen worden sei; bei dem habe man toubob- Geld gefunden, ausgerechnet kurz nach dem Verschwinden zweier Knaben aus dem dritten kafo. Der Mann behauptete, das Geld im Wald gefunden zu haben, doch bevor er sich vor dem Ältestenrat verantworten sollte, war er verschwunden. »Du bist noch zu jung, um dich daran zu erinnern, doch solche Dinge passieren leider. Achte also darauf, daß du niemals aus dem Blickfeld eines Menschen gerätst, dem du vertrauen kannst, und wenn du hier Ziegen hütest, achte darauf, daß du sie nie im tiefen Busch jagen mußt, sonst kann es nämlich sein, daß deine Eltern dich nicht wiedersehen.«
    Kunta war nun schon sehr erschrocken, es kam aber noch mehr. Selbst wenn es Kunta gelänge, den Raubkatzen und den toubobs zu entgehen, müsse er darauf gefaßt sein, daß eine Ziege aus der Herde ausbreche, und es sei einem Jungen ganz und gar unmöglich, eine Ziege einzufangen, wenn die erst einmal in die Felder eingebrochen sei. Mache er sich mit seinem Hund auf die Jagd, dann laufe die übrige Herde der Ausreißerin nach, und hungrige Geißen räumten mit Feldfrüchten noch schneller auf als Paviane, Antilopen oder wilde Schweine.
    Als Toumani sein Mittagessen mit Kunta teilte, das die Mutter ihnen eingepackt hatte, betrachteten alle Jungen vom zweiten kafo die Ziegen mit sehr viel mehr Hochachtung als zuvor. Toumanis kafo legte sich nach dem Essen in den Schatten kleiner Bäume, manche probierten auch die neuen Schleudern der Lehrlinge aus. Kunta und seine Freunde achteten inzwischen auf die Ziegen, ermuntert von Zurufen der Älteren, die sich vor Lachen nicht halten konnten, wenn die Kleineren sich auf jede Ziege stürzten, die auch nur den Kopf hob. Kunta vergaß dabei niemals, ängstlich zum Wald zu blicken, ob dort nicht etwas lauere, ihn zu fressen.
    Als am späten Nachmittag die Ziegen satt waren, rief Toumani ihn zu sich und fragte streng: »Erwartest du etwa, daß ich für dich Holz sammle?« Da erst fiel Kunta ein, daß die Ziegenhirten abends jeder mit einer Ladung Holz für die Nachtfeuer ins Dorf zurückkehrten. Da sie zugleich auf die Ziegen und den Wald zu achten hatten, brachten Kunta und seine Freunde es kaum fertig, leichtes, trockenes Holz zu finden, das gut brennen würde. Endlich machte Kunta ein Bündel, das er gerade noch tragen zu können glaubte, Toumani warf aber verächtlich schnaufend noch einige Zweige dazu. Kunta schnürte grüne Lianen um

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