Wurzeln
des Dorfes, der er fasziniert zusah, wie sie an ihrem wackeligen Webstuhl kleinere Baumwollstreifen herstellte. Binta beauftragte ihn anschließend, die starke Lauge herzustellen, der sie zermahlene Indigoblätter zusetzte und die dann alle ihre Kleidungsstücke stark blau färbte. Die Lauge wurde gewonnen, indem man Wasser sehr langsam durch Holzkohle filterte. Alle Frauen in Juffure taten das jetzt, folglich sah man überall zum Trocknen ausgelegte, in starken Farben eingefärbte Stoffe – und keineswegs alle blau, sondern auch rot und grün und gelb.
Während die Frauen mit Nähen und Spinnen beschäftigt waren, widmeten die Männer sich den ihnen übertragenen Aufgaben, die ebenfalls noch vor dem Erntefest erledigt werden sollten, bevor es für jede Art Arbeit zu heiß wurde. Dazu gehörten Reparaturarbeiten an dem Zaun, der das Dorf einfaßte und an dem sich mit Vorliebe Rinder und Geißen schabten, was dem Zaun nicht gut bekam. Auch die Hütten mußten ausgebessert werden, denn starke Regenfälle richteten unvermeidlich Schäden an. Außerdem brauchten die auf Freiersfüßen gehenden jungen Leute ihre eigenen Hütten, und so fand Kunta Gelegenheit, gemeinsam mit seinen Freunden den Lehm zu stampfen, aus dem die Männer die Wände dieser Hütten formten.
Aus dem Wasserloch schöpfte man bereits trübes Wasser, und das Nachschauen am Brunnenrand ergab, daß der dort lebende Fisch, der die Insekten verspeisen sollte, im unsauberen Wasser eingegangen war. Folglich mußte man einen neuen Brunnen graben. Bei den Grabungsarbeiten kamen eigroße Klumpen von weißgrünem Ton zutage, welche von den schwangeren Frauen des Dorfes gierig gegessen wurden, denn dieser Ton, so erklärte Binta ihrem Sohn, bewirke, daß das erwartete Kind starke Knochen bekomme.
Blieben die Knaben sich selber überlassen, tollten sie im Dorf herum und probierten ihre neuen Schleudern aus. Sie zielten auf so gut wie alles und trafen zum Glück so gut wie nichts, machten dabei aber einen Lärm, der alle Tiere fernhielt. Sogar die Kleinen aus Lamins kafo trollten unbeaufsichtigt herum, denn um diese Zeit war niemand in Juffure so beschäftigt wie die Großmütter, die bis spät in die Nächte falsche Haarteile für die unverheirateten Mädchen herstellten; die wollten sie zum Erntefest tragen. Aus den Fasern verrotteter Sisalblätter und aus der eingeweichten Rinde des Affenbrotbaumes wurden Zöpfe, Knoten, ja ganze Perücken geflochten. Die groben Sisalhaarstücke kosteten viel weniger als die aus der weicheren, seidigeren Faser des Brotbaumes, deren Verarbeitung allerdings so viel Zeit erforderte, daß der Preis einer ganzen Perücke aus diesem Material gut und gern drei Ziegen betragen mochte. Die Käuferinnen feilschten aber lange und laut, denn sie wußten, daß die Großmütter mit dem Preis heruntergingen, wenn man ihnen das Vergnügen eines ausgedehnten Handelsgespräches verschaffte.
Die alte Nyo Boto machte nicht nur die schönsten Perücken, sie erfreute ihre Mitschwestern auch dadurch, daß sie sich kühn der Tradition widersetzte, die da sagte, die Frau habe den Männern stets größte Hochachtung zu erweisen. Man konnte sie täglich in der Morgensonne halbnackt vor ihrer Hütte sitzen und emsig an ihren Haarteilen basteln sehen, wobei ihr aber nicht ein einziger Mann entging, der vorüberkam. Dann höhnte sie: »Heda! Seht euch den an! Einen Mann nennt er sich, aber Männer, wie es sie zu meiner Zeit gab, die gibt es nicht mehr.« Die vorübergehenden Männer, die schon wußten, was ihnen hier bevorstand, beeilten sich, so gut es ging. Am Nachmittag dann schlief Nyo Boto ein, bewacht von den Kleinkindern, die ihrer Aufsicht anvertraut waren und die lachten, weil die alte Frau so schnarchte.
Die Mädchen des zweiten kafo halfen Müttern und älteren Schwestern beim Sammeln von Heilpflanzen und Gewürzen, die an der Sonne getrocknet wurden. Wurden Körner gestampft, bliesen die kleinen Mädchen die abfallenden Hülsen und Schalen fort. Auch halfen sie bei der Wäsche. Die Kleidungsstücke wurden mit einer groben, aus Lauge und Palmöl hergestellten Seife behandelt und dann gegen runde Steine geschlagen.
Als die Männer im wesentlichen mit ihren Aufgaben fertig waren, hörte man hier und da im Dorf Musikinstrumente. Es waren bis zum Neumond nur noch wenige Tage, dann würde in ganz Gambia das Erntefest beginnen. Die Dorfmusikanten übten sich jetzt auf den koras mit den vierundzwanzig Saiten, auf den Trommeln und balafons , sehr
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