Wurzeln
logierte. Vor dem Herrenhaus in Enfield stand schon ein rundes Dutzend anderer Gefährte, als Kunta kurz nach Einbruch der Dunkelheit mit dem Masser dort eintraf.
Obwohl Kunta in den acht Jahren seiner Ehe mit Bell oft genug hier gewesen war, hatte sich die dicke schwarze Köchin Hattie erst seit ein paar Monaten wieder dazu herabgelassen, mit ihm zu reden – seit er nämlich Kizzy zu einem Besuch Missy Annes bei den Großeltern mitgebracht hatte. Als er diesen Abend zur Küchentür ging, um »Hallo« zu sagen (und vielleicht etwas zu essen zu bekommen), bat sie ihn sogar, einzutreten und mit ihr zu plaudern, während sie, ihr Küchenmädchen und vier Serviererinnen die letzten Vorbereitungen für das Dinner trafen. Kunta meinte noch nie so viele dampfende und brutzelnde Töpfe und Pfannen auf einmal gesehn zu haben.
»Und wie geht’s deinem wonnigen Dingelchen?« fragte Hattie zwischen Probieren, Pusten und Abschmecken.
»Gut«, antwortete Kunta. »Bell lernt sie jetzt grad kochen. Neulich hat sie mich mit einem Apfelauflauf überrascht.«
»Der kleine Tausendsassa! Ich seh schon, nächstens eß ich ihre Schleckereien, statt daß sie meine futtert. Beim letztenmal hat sie mindestens ’n halben Topf von meinem Ingwer-Eingemachten weggeputzt.«
Nach einem letzten Blick in den Ofen, wo drei oder vier verschiedene Brotsorten einen Duft verströmten, bei dem einem das Wasser im Munde zusammenlief, wandte sich Hattie zu der ältesten der Serviererinnen, die in ihren gestärkten gelben Schürzen bereitstanden, und sagte: »Wir sind soweit. Geh und sag’s der Missis.« Die Frau verschwand durch die Schwingtür, und Hattie verkündete den drei anderen: »Ich verhau euch alle mit der Schöpfkelle, wenn ihr beim Suppeservieren auch nur einen Tropfen auf mein bestes Leinen kleckert! – So, und nun bist du dran«, sagte sie zu der jüngsten Küchengehilfin. »Tu die Rüben, den Mais, den Kürbis und die Bohnen in die guten Porzellanterrinen; ich wuchte derweil schon mal den Hammelrücken aufs Schneidebrett.«
Ein paar Minuten später kam eine der Serviererinnen hastig zurück, flüsterte Hattie eindringlich eine ziemlich langwierige Neuigkeit ins Ohr und eilte wieder hinaus. Hattie wandte sich zu Kunta:
»Weißt du noch, die Geschichte vor ein paar Monaten – mit dem Handelsschiff, das die Franzosen irgendwo auf dem großen Wasser gekapert hatten?«
Kunta nickte. »Ja. Der Fiedler sagt, Präsident Adams soll so wütend gewesen sein, daß er alle seine Schiffe ausgeschickt hat, um sie dranzukriegen.«
»Na, das haben sie besorgt. Louvina hat mir eben erzählt, der Mann da drin, der aus Richmond, der sagt, sie haben volle achtzig Franzosenschiffe erbeutet. Die Weißen im Speisesaal tun, als möchten sie am liebsten vor Freude rumtanzen und singen, weil sie diesem Frankreich eins ausgewischt haben.«
Während Hattie redete, nahm Kunta den gehäuften Teller in Angriff, den sie beiläufig vor ihn hingestellt hatte, und seine Augen erlabten sich zusätzlich am Anblick von Roastbeef, gebackenem Schinken, Truthahn, Hühnern und Enten, die sie unterdessen sachkundig auf großen vorgewärmten Platten anrichtete. Er kaute noch mit vollen Backen an seinen gebutterten Bataten, als die vier Serviererinnen, mit leeren Schüsseln, Näpfen und Löffeln beladen, in die Küche zurückdrängten. »Sie sind mit der Suppe fertig!« erläuterte Hattie ihrem Gast Kunta. Alsbald marschierten die Helferinnen mit übervollen Tabletts wieder hinaus, und Hattie wischte sich das Gesicht ab und sagte: »Nun haben wir ungefähr vierzig Minuten Pause bis zum Dessert. Wolltest du vorhin nicht was sagen?«
»Nur, daß die achtzig Schiffe mir ganz egal sind«, sagte Kunta, »solange die Weißen aufeinander losdreschen statt auf uns. Scheinen ja nicht glücklich zu sein, wenn sie nicht mit irgendwem Streit haben.«
»Kommt drauf an, mit wem, mein ich«, sagte Hattie. »Letztes Jahr hat sogar ein Mulatte eine Ree-volte gegen diesen Toussaint angeführt, und er hätt glatt gewonnen, wenn der Präsident dem Toussaint nicht seine Schiffe zu Hilfe geschickt hätte.«
»Masser Waller sagt, Toussaint hat nicht genug Verstand, um ’n General zu werden, und schon gar nicht, um ein eigenes Land zu regieren«, sagte Kunta. »Er sagt, all den freigelaßnen Sklaven in Haïti wird’s bald viel dreckiger gehn als unter ihren Massers. Natürlich, das ist es, was die Weißen hoffen. Ich glaub aber, sie sind schon jetzt viel besser dran, wenn sie auf ihren
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