Wurzeln
irgend etwas, was mit diesem albernen weißen Geschöpf zu tun hatte, aber um Kizzys Gefühle nicht zu verletzen, antwortete er: »Ich höre.«
»Peter, Peter«, deklamierte sie, »nichts versteht er, hat ’ne Frau, die macht Gezeter, steckt sie in ’nen Kürbis rein, muß sie endlich stille sein!«
»Ist das alles?« fragte Kunta nach einer Pause.
Kizzy nickte. »Fein, nicht?«
Er fand im stillen, es sei genau das, was von Missy Anne zu erwarten war: vollkommen affig. »Du sagst es sehr gut auf«, wich er aus.
»Wetten, daß du’s nicht so schön aufsagen kannst?« prahlte sie augenzwinkernd.
»Ich versuch’s ja auch gar nicht.«
»Ach doch, Pappy, versuch’s mal! Grad nur einmal für mich!«
»Laß mich in Ruh mit dem Blödsinn!« Es klang ärgerlicher, als er war. Kizzy bettelte jedoch so lange, bis er schließlich – nicht ohne sich ein wenig zu schämen, daß seine Kleine ihn derartig um den Finger wickeln konnte – einen stotternden Versuch unternahm, die törichte Reimerei zu wiederholen … Nur damit sie Ruhe gab, redete er sich dabei ein.
Bevor sie ihn nötigen konnte, noch einmal von vorn anzufangen, blitzte in ihm der Gedanke auf, ihr etwas anderes zu rezitieren, vielleicht ein paar Koranverse, damit sie hörte, wie schön die klangen – zugleich aber wurde ihm klar, daß Kizzy nicht mehr Sinn darin finden würde als in ihrem »Peter, Peter«-Reim. Also erzählte er ihr lieber eine Geschichte. Die von dem Krokodil und dem kleinen Jungen kannte sie schon; deshalb versuchte er es heute mit der faulen Schildkröte, die den dummen Leopard überredete, sie auf seinem Rücken zu tragen, weil sie angeblich zu krank sei, um selber zu gehen.
»Wo weißt du nur all die schönen Geschichten her?« fragte Kizzy, als er fertig war.
»Die hab ich gehört, wie ich so klein war wie du, von ’ner weisen alten Großmammy mit Namen Nyo Boto.« Kunta lachte bei der Erinnerung plötzlich auf. »Sie war so kahl auf dem Kopf wie ein Ei! Und Zähne hatte sie auch keine mehr, aber dafür ’ne scharfe Zunge, die machte alles wett. Uns Jungen hatte sie lieb wie ihre eigenen.«
»Hatte sie denn keine eigenen?«
»Doch, zwei, wie sie noch ganz jung war, lange bevor sie zu uns nach Juffure kam. Aber ihre Söhne sind ihr geraubt worden, bei einem Kampf zwischen ihrem Dorf und ’nem andern Stamm. Sie ist nie drüber weggekommen, glaub ich.«
Kunta verstummte, jäh von einem Gedanken betroffen, den er in diesem Zusammenhang noch nie hatte: Bell war das gleiche Unglück zugestoßen, als sie jung war. Er hätte Kizzy gern von ihren beiden Halbschwestern erzählt, aber er wußte, daß es sie nur aufregen würde – gar nicht zu reden von Bell, die ihre verlorenen Töchter seit Kizzys Geburt nie wieder erwähnt hatte. Aber war nicht auch er, waren nicht alle, die damals in Ketten mit ihm auf dem Sklavenschiff gewesen waren, ihren Müttern entrissen worden? Und die ungezählten Tausende vor ihm und nach ihm?
»Nackt haben sie uns weggeschleppt!« hörte er sich selbst herausplatzen. Kizzy zuckte zusammen und starrte ihn an, aber er konnte nicht mehr innehalten. »Sogar unsere Namen haben sie uns genommen. Die Schwarzen, die schon hier geboren sind, wissen nicht mal, wer sie sind! Aber ich bin ein Kinte, und du bist eine Kinte! Vergiß das nie! Unsere Vorfahren waren Kaufleute, Reisende, heilige Männer – Hunderte von Regen lang in dem alten Land mit Namen Mali. Du verstehst, wovon ich rede, Kind?«
»Ja, Pappy«, sagte sie gehorsam, aber er wußte, daß dem nicht so war. Wieder kam ihm eine Idee. Er hob ein dürres Zweiglein auf, strich den Boden vor ihnen glatt und kratzte ein paar arabische Schriftzeichen hinein.
»Das ist mein Name: Kunta Kinte«, sagte er und zog die Lettern langsam mit dem Finger nach.
Sie starrte fasziniert hin. »Pappy, nun schreib meinen Namen!« Er tat es, und sie lachte. »Das soll ›Kizzy‹ heißen?« Er nickte. »Willst du mich lernen, auch so zu schreiben wie du?« bat sie eifrig.
»Nein, das würd sich nicht gehören«, sagte Kunta streng.
»Warum nicht?« Ihre Stimme klang gekränkt.
»In Afrika lernen nur Jungen lesen und schreiben. Mädchen haben keine Verwendung dafür. In Afrika nicht und hier auch nicht.«
»Aber Mammy kann doch auch lesen und schreiben. Warum?«
»Red bloß zu niemand drüber!« sagte er besorgt. »Verstanden? Geht niemand was an. Die Weißen haben’s gar nicht gern, wenn welche von uns lesen und schreiben können.«
»Warum?«
»Weil sie denken, je
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