Wurzeln
eigenen Plantagen arbeiten.«
Eine der Serviererinnen, die zurückgekommen war und die letzten Sätze mitgehört hatte, mischte sich ins Gespräch: »Darüber reden sie drin auch grade – über freie Nigger. Sagen, es gibt schon viel zuviel, 13000 allein hier in Virginia. Der Richter sagt, er ist dafür, Nigger zu befreien, wenn sie sich besonders verdient machen, zum Beispiel die, die in der Revolution an der Seite ihrer Massers mitgekämpft haben oder die den Weißen alle Pläne von Meuterei verraten, oder einen Nigger, der eine Kräutermedizin weiß, die beinah alles heilt und wo sie selber drauf schwören. Der Richter sagt, die Massers können alte treue Nigger ruhig in ihrem Testament befreien, wenn’s ihnen so paßt. Aber er und alle andern da drin sind total gegen die Quäker und andre Weiße, die ihre Nigger für nichts und wieder nichts freilassen.« Im Hinauseilen fügte sie noch hinzu: »Der Richter sagt: Merkt euch meine Worte, ein paar neue Gesetze werden das bald alles umkrempeln.«
»Was hältst du von dem Masser Alexander Hamilton, Kunta?« fragte Hattie. »Dem da oben im Norden, der sagt, alle Nigger sollen wieder nach Afrika geschickt werden, weil Nigger und Weiße viel zu verschieden sind und sich nie richtig vertragen werden?«
»Recht hat er, das mein ich«, sagte Kunta. »Aber so reden manche Weiße immer, und trotzdem bringen sie dauernd neue aus Afrika!«
»Du weißt so gut wie ich, warum«, sagte Hattie. »Sie brauchen welche für Georgia und die beiden Carolinas, damit sie mit der Baumwollernte mitkommen, seit sie die Trennmaschine vor ein paar Jahren eingeführt haben. Aus demselben Grund verkaufen jetzt so viele Massers hier in der Gegend ihre Nigger weiter nach Süden runter. Sie kriegen dafür zwei-, dreimal soviel, wie sie selber bezahlt haben.«
»Der Fiedler sagt, die großen Massers unten im Süden heuern weißes Pack als Aufseher an«, berichtete Kunta. »Die treiben die Sklaven an beim Roden für neue Plantagen, als wären sie Maulesel.«
»Ja, drum sind auch die Zeitungen in letzter Zeit so voll von Anzeigen über weggelaufene Nigger«, sagte Hattie.
Allmählich kamen die Serviererinnen mit abgegessenem Geschirr in die Küche zurück. Hattie strahlte vor Stolz. »Die haben wirklich gefuttert, was das Zeug hält. Jetzt«, erklärte sie Kunta, »schenkt der Masser drinnen Champagner ein, während der Tisch fürs Dessert abgeräumt wird. Probier mal so ’n Plumpuddingtörtchen.« Sie schob es Kunta auf einer Untertasse hin. »Die andern kriegen noch Rumpfirsiche dazu, aber ich weiß noch – du rührst ja keinen Schnaps an.«
Während Kunta sich das Törtchen schmecken ließ, erinnerte er sich an eine Suchanzeige, die Bell ihm kürzlich aus der Gazette vorgelesen hatte. »Große junge Mulattin«, hatte es da geheißen, »mit schweren Brüsten, von denen die rechte eine tiefe Narbe aufweist. Gerissene Lügnerin und Diebin. Hat möglicherweise einen gefälschten Paß, da sie bei ihrem Besitzer etwas schreiben gelernt hat, und gibt sich als Freigelassene aus.« Hattie ließ sich schwerfällig nieder, fischte mit zwei Fingern eine Pfirsichhälfte aus dem Rumtopf und schob sie sich in den Mund. Mit einem Blick auf die beiden Wannen voll benutzter Gläser, Teller, Bestecke und Küchengerät, die später abgewaschen und getrocknet werden mußten, stieß sie einen tiefen Seufzer aus und sagte müde: »Eins weiß ich, heut abend kann ich froh sein, wenn ich ins Bett komme. Gott, bin ich erledigt!«
Kapitel 76
Nun war es schon viele Jahre her, daß Kunta täglich vor Morgengrauen aufstand, früher als sonst irgendwer im Sklavenquartier – so früh, daß manche behaupteten, »dieser Afrikaner« könnt im Dunkeln sehen wie eine Katze. Ihm war es einerlei, was sie dachten, solange ihn niemand hinderte, zur Scheune zu entschlüpfen, wo er das Gesicht dem ersten fahlen Licht im Osten zuwandte und, zwischen zwei großen Heubündeln niedergeworfen, Allah sein andächtiges Morgengebet darbrachte. Wenn er damit fertig war und mit der Heugabel die Futterkrippe der Pferde aufgefüllt hatte, waren auch Bell und Kizzy schon gewaschen, angezogen und bereit, ihren Dienst im Herrenhaus anzutreten, und der Vormann Cato war mit Noah, Adas Sohn, auf den Beinen, und Noah läutete die Weckglocke für die anderen Sklaven.
Fast jeden Morgen begegneten sie sich, und Noah nickte seinen kurzen Gruß mit so zurückhaltendem Ernst, daß er Kunta an die Jaloff-Leute in Afrika erinnerte, von denen es hieß,
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