Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
Vom Netzwerk:
später fragte er: »Weißt du denn, wo wir sind?«
    »Wir sind im Wagen!« antwortete Kizzy.
    »Ich meine, wo wir wohnen.«
    »Bei Masser Waller.«
    »Und wo ist das?«
    »Na, da hinten«, sagte sie und zeigte in Richtung des Hauses. Damit war dies Thema für sie erledigt. – »Erzähl mir noch was von den Käfern und so, von da, wo du her bist.«
    »Hm ja, da gibt’s riesengroße rote Ameisen, die wissen, wie man auf Blättern über Ströme fährt, und sie bauen sich Hügel, über mannshoch, und das ist ihre Wohnung.«
    »Klingt gefährlich. Tretet ihr sie tot?«
    »Nur in der Not. Jede Kre-a-tur hat genausoviel Recht zu leben wie du. Sogar das Gras ist lebendig und hat ’ne Seele, genau wie die Menschen.«
    »Dann werd ich nie mehr auf Gras treten. Ich fahr nur noch im Wagen.«
    Kunta lächelte. »Wo ich herkomme, da gibt’s keine Wagen. Da gehn alle zu Fuß. Einmal bin ich mit meinem fa vier Tage lang von Juffure zu meinen Onkeln in ihr neues Dorf gegangen.«
    »Was ist Juf-fu-re?«
    »Wie oft soll ich dir das noch sagen! Da komm ich her.«
    »Ich dachte, du kommst von Afrika. Ist dies Gambia, wo du immer von redest, auch in Afrika?«
    »Ja, Gambia ist ein Land in Afrika. Und Juffure ist ein Dorf in Gambia.«
    »Aber wo ist das genau, Pappy?«
    »Hinter dem großen Wasser.«
    »Wie groß ist das große Wasser?«
    »So groß, daß man fast vier Monde braucht zum Drüberfahren.«
    »Vier was?«
    »Monde. Du sagst dazu ›Monate‹.«
    »Warum sagst du nicht auch Monate?«
    »Weil Mond mein Wort dafür ist.«
    »Und wie heißt bei dir ein Jahr?«
    »Ein Regen.«
    Kizzy versank in kurzes Nachdenken.
    »Wie kommt man über das große Wasser?«
    »In einem großen Schiff.«
    »Größer als das Ruderboot, wo vorhin die vier Männer drin waren, die gefischt haben?«
    »Groß genug für über hundert Leute.«
    »Warum ist es da nicht untergegangen?«
    »Das hab ich mir damals auch gewünscht.«
    »Warum?«
    »Wir waren alle so krank, daß wir am liebsten gestorben wären.«
    »Warum wart ihr so krank?«
    »Weil wir in unserem eigenen Dreck liegen mußten, einer überm andern.«
    »Warum seid ihr nicht aufs Klo gegangen?«
    »Die toubobs hatten uns in Ketten gelegt.«
    »Wer waren die ›toubobs‹ ?«
    »Die Weißen.«
    »Warum warst du in Ketten? Hast du was angestellt?«
    »Nein, ich war nur grad im Wald bei unserm Dorf – hab nach Holz gesucht, um eine Trommel draus zu machen. Da haben sie mich geschnappt und mitgenommen.«
    »Wie alt warst du da?«
    »Siebzehn.«
    »Haben sie deinen Pappy und deine Mammy gefragt, ob du mitgehn darfst?«
    Kunta sah Kizzy ungläubig an. »Die hätten sie auch mitgenommen, wenn sie dabeigewesen wären. Meine Familie weiß bis zum heutigen Tag nicht, wo ich bin.«
    »Hast du noch Geschwister?«
    »Drei Brüder. Vielleicht sind’s auch mehr geworden, inzwischen. Jedenfalls, jetzt sind sie alle erwachsen, haben wahrscheinlich auch schon Kinder, wie du eins bist.«
    »Gehn wir sie mal besuchen?«
    »Wir können nirgends hingehn.«
    »Aber jetzt grade sind wir doch unterwegs!«
    »Zu Masser John, ja. Ohne Befehl dürfen wir nicht. Wenn die Sonne untergeht, lassen sie wegen uns die Hunde raus.«
    »Damit uns keiner was tut?«
    »Weil wir ihnen gehören. Wie die Pferde hier, die uns ziehen.«
    »Wie ich zu dir und Mammy gehör?«
    »Das ist was andres. Du bist unser Kind.«
    »Missy Anne sagt, sie will mich ganz für sich haben.«
    »Du bist keine Puppe, mit der sie bloß spielen kann.«
    »Aber ich spiel doch auch mit ihr. Sie hat mir gesagt, sie ist meine beste Freundin!«
    »Man kann nicht zugleich Freund und Sklave sein.«
    »Warum nicht, Pappy?«
    »Weil Freunde einander nicht gehören.«
    »Aber du und Mammy, gehört ihr euch nicht? Oder seid ihr keine Freunde?«
    »Das ist was andres. Wir gehören einander, weil wir wollen , weil wir uns liebhaben.«
    »Ich hab Missy Anne auch lieb, drum will ich ihr auch gehören.«
    »Das geht nicht gut.«
    »Wieso?«
    »Du wirst dabei nicht glücklich, wenn ihr beide groß seid.«
    » Doch werd ich glücklich! Ich glaub nur, du bist dabei nicht glücklich.«
    »Damit hast du sicher recht!«
    »Oh, Pappy – ich könnte dich und Mammy bestimmt nie verlassen.«
    »Wir könnten dich auch nie weggeben, Kind.«

Kapitel 75
    Eines Tages brachte der Kutscher von Masser Wallers Eltern in Enfield eine Einladung zum Dinner, zu Ehren eines wichtigen Geschäftsfreundes aus Richmond, der für eine Nacht auf dem Wege nach Fredericksburg bei den alten Wallers

Weitere Kostenlose Bücher