Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
Vom Netzwerk:
durfte.
    Dergestalt von aller Welt abgeschnitten – sogar von Masser Wallers Gazette , die ihr Erscheinen schon einen Monat vor den ersten großen Schneefällen eingestellt hatte –, redeten die Leute des Sklavenquartiers immer noch von den letzten Nachrichten, die bis zu ihnen durchgesickert waren: wie zufrieden die weißen Massers mit der Art seien, in der Präsident Jefferson »das Regiment führte«, trotz ihrer anfänglichen Vorbehalte wegen seiner Ansichten über die Sklaven. Präsident Jefferson hatte seit seinem Amtsantritt Armee und Marine reduziert, die öffentlichen Schulden gesenkt und sogar die Privatvermögenssteuer abgeschafft – eine Tat, die, wie der Fiedler bemerkte, durch ihre Großherzigkeit besonders die reiche Masser-Klasse beeindruckt hatte.
    Kunta fand allerdings, noch größeren Jubel habe unter den Weißen der Erwerb von Louisiana durch Präsident Jefferson ausgelöst, der dieses riesige Gebiet den Franzosen für ein Butterbrot abgekauft hatte. »Am meisten freut mich daran«, sagte Kunta, »daß dieser Napoleon das Geld so nötig braucht, weil er in Haïti gegen Toussaint nicht bloß 50 000 Franzosen verloren hat, sondern auch einen Haufen Geld.«
    Dann aber wurde bekannt, daß der General Toussaint in seinem französischen Kerker an Hunger und Kälte zugrunde gegangen war, und das empfanden alle als ein schlimmes Unglück.
    Kunta war noch nicht über diese Erschütterung und Trauer hinweg, als er drei Tage später zu seiner Hütte ging, um sich einen Napf heißer Suppe zu holen. Vor der Tür stampfte er den Schnee von den Stiefeln und zog sich beim Eintreten die Handschuhe aus. Im Vorraum fand er Kizzy auf ihrem Matratzenlager. Sie sah ängstlich und beklommen drein. »Sie fühlt sich nicht besonders«, lautete Bells Erklärung, wobei sie einen ihrer Kräutertees aufbrühte und Kizzy mit sanfter Strenge trinken hieß. Kunta spürte, daß ihm etwas verheimlicht wurde; aber nach einigen Minuten in dem überheizten, geschlossenen Raum, in dem alle Ritzen mit Lehm abgedichtet waren, verhalf ihm die eigene Nase zu der Erkenntnis, daß Kizzy heute ihre erste Blutung hatte.
    Nun hatte er seine Kizzy fast dreizehn Regen lang täglich heranwachsen sehen und sich in letzter Zeit innerlich damit abfinden müssen, daß ihre Wandlung zur Frau nicht mehr lange auf sich warten lassen konnte; dennoch traf ihn diese unwiderrufliche Tatsache im Moment vollkommen unvorbereitet. Kizzy war nach kurzer Bettruhe wieder auf den Beinen und in Hütte und Herrenhaus tätig wie gewohnt, doch sah Kunta sie jetzt mit anderen Augen. Ihre Rundungen waren die einer jungen Frau, und ihr Gang hatte alles Kindliche verloren. Von jetzt an wandte Kunta meistens die Augen ab, wenn er durch den Trennvorhang von der Schlafkammer in den Vorraum kam, wo Kizzy schlief, und wenn sie zufällig nicht fertig angezogen war, spürte er, daß auch sie sich genierte.
    In Afrika – wie weit lag das zurück! – würde Bell ihrer Tochter nun zeigen, wie man die Haut mit einer besonderen Salbe geschmeidig macht, wie man Lippen, Handflächen und Fußsohlen mit Ruß schwärzt, und Kizzy würde die Blicke junger Männer auf sich ziehen, die nach einer wohlerzogenen, fleißigen Jungfrau Ausschau hielten. Als Kunta sich vorstellte, ein foto könnte in Kizzys Schoß eindringen, wurde ihm übel, und erst als er sich sagte, dies könnte nur nach einer umsichtig ausgehandelten Heirat stattfinden, gewann er die Fassung zurück. Schließlich oblag es ihm, unter den Bewerbern zu wählen, sie nach Charakter und Herkommen zu beurteilen und den Brautpreis festzusetzen.
    Als er dann aber mit Cato, dem jungen Noah und dem Fiedler beim Schneeschippen war, fand Kunta sich selbst in wachsendem Maße lächerlich. Wie konnte er immer noch an seine alten afrikanischen Bräuche und Traditionen denken! Hier fanden sie weder Beachtung noch Anerkennung; im Gegenteil, man hätte ihn schallend ausgelacht, wenn er sie auch nur andeutungsweise erwähnt hätte, sogar die Schwarzen hätten gelacht. Und hier gab es sowieso keinen Freier für Kizzy im passenden Alter, so zwischen dreißig und fünfunddreißig Regen … Da war er unversehens schon wieder in die alten Vorstellungen geraten! Er mußte sich wirklich zum Umdenken zwingen. Hier im toubob- Land heirateten die jungen Mädchen – »sprangen über den Besen«, wie man es nannte – im allgemeinen ungefähr gleichaltrige Burschen.
    Dabei fiel Kunta sofort Noah ein. Der Junge hatte ihm immer gefallen. Mit seinen

Weitere Kostenlose Bücher