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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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fünfzehn war er zwar nur zwei Jahre älter als Kizzy, machte aber schon einen sehr männlichen Eindruck – ernst, reif und verantwortungsbewußt, und körperlich war er groß und stark. Je länger Kunta nachdachte, desto weniger fand er an Noah auszusetzen. Das einzige, was ihn trübe stimmte, war die Tatsache, daß Noah eigentlich nie ein besonderes Interesse für Kizzy bekundet hatte und Kizzy ihrerseits überhaupt nicht zu wissen schien, daß es Noah gab. Kunta grübelte lange darüber. Warum waren sie einander von Kind an so gleichgültig, warum hatten sie sich nicht wenigstens ein bißchen angefreundet? Schließlich war Noah ihm, Kunta, sehr ähnlich, wie er als junger Mann gewesen war, und schon deshalb hätte er Kizzys Aufmerksamkeit, wenn nicht ihre Bewunderung, im höchsten Grade verdient. Kunta überlegte, ob und wie er sie einander öfter in den Weg schicken konnte, hatte aber das Gefühl, dies sei wahrscheinlich die beste Methode, sie vollends auseinanderzubringen. Er beschloß, sich wie gewöhnlich weise zurückzuhalten und sich nicht in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen. »Wenn die Säfte steigen«, wie Bell es einmal ausgedrückt hatte, und zwei junge Menschen tagaus, tagein nebeneinander im Sklavenquartier leben, konnte er für sein Teil nur zu Allah beten, Er möge der Natur auf die Sprünge helfen.

Kapitel 82
    »Nimm dich ja in acht, Freundchen, und laß mich nicht noch mal hören, daß du um den Noah rumscharwenzelst! Oder du kriegst eins mit der Hickoryrute übergezogen!« Kunta, der eben in die Hütte wollte, blieb wie erstarrt zwei Schritte vor der Tür stehen und hörte, wie Bell weiter schalt: »Dabei bist du noch keine sechzehn! Was soll dein Pappy davon denken, wenn du dich so aufführst?«
    Kunta drehte sich geräuschlos um und zog sich in die Scheune zurück, um in Ruhe zu überdenken, was er da Aufschlußreiches gehört hatte. »Rumscharwenzeln« – um Noah! Bell selbst schien es zwar nicht gesehen zu haben, aber jemand hatte es ihr erzählt. Zweifellos Tante Sukey oder Schwester Mandy oder beide; wie er diese alten Klatschweiber kannte, hätte es ihn nicht überrascht, wenn sie aus etwas vollkommen Harmlosem etwas Anstößiges machten, nur um es besser bekakeln zu können. Aber was? Nach dem wenigen zu schließen, das er gehört hatte, erzählte Bell ihm wahrscheinlich nichts, es sei denn, die Geschichte wiederholte sich und sie brauchte ihn, um ein Machtwort zu sprechen. Von sich aus hätte er Bell nicht im Traum danach gefragt; solche Sachen rochen ihm zu sehr nach Weibertratsch.
    Aber – wenn es nicht so harmlos war? Hatte Kizzy vor Noah paradiert, sich aufreizend benommen? Und wenn ja, wie hatte er sie dazu bewogen? Er schien doch ein junger Mann von Ehre und Charakter zu sein – aber man konnte nie wissen.
    Kunta wüßte jedenfalls nicht, was er denken oder sagen sollte. Wie Bell ganz richtig bemerkt hatte, war ihre Tochter erst fünfzehn und damit nach toubob- Maßstäben noch zu jung zum Heiraten. Er stellte fest, daß er jetzt nicht sehr afrikanisch dachte, aber irgendwie war er noch nicht bereit, sich seine Kizzy mit einem dicken Bauch vorzustellen, obwohl er in Afrika genügend Mädchen in ihrem Alter, und auch jüngere, in diesem Zustand gesehen hatte.
    Immerhin: wenn Kizzy und Noah heirateten, würden sie wenigstens richtig schwarze Kinder bekommen, keine so bläßlichen sasso-borro- Babys wie die unglücklichen Mütter, die von geilen Massers oder Aufsehern mißbraucht worden waren. Kunta dankte Allah, daß weder seine Kizzy noch sonst eine der Frauen im Sklavenquartier je diese entsetzliche Erfahrung gemacht hatte, zumindest nicht, seit er hier war; ungezählte Male hatte er Masser Wallers Gesprächen mit weißen Freunden entnommen, wie entschieden er jegliche Blutmischung ablehnte.
    Wann immer sich in den nächsten paar Wochen die Gelegenheit ergab, beobachtete Kunta heimlich, ob Kizzy aufreizend mit dem Hintern wackelte. Er ertappte sie nie dabei, aber ein- oder zweimal waren er und sie gleichermaßen erschrocken, wenn er sie zufällig beim Tanzen in der Hütte überraschte. Sie wirbelte herum, warf den Kopf in den Nacken und summte verträumt vor sich hin … Kunta behielt nun auch Noah etwas schärfer im Auge. Er bemerkte, daß Noah und Kizzy sich neuerdings, anders als früher, ganz normal zunickten oder einander anlächelten, wenn sie sich in Anwesenheit anderer Leute begegneten. Je länger Kunta darüber nachsann, desto klarer folgerte er, daß die

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