Wurzeln
hatte.
»Masser –«, sie schluckte, »Masser, Cato sagt, ich soll Euch sagen, dieser Junge, der Noah … ist heute morgen nicht zur Arbeit angetreten.«
Der Masser setzte die Tasse ab und zog die Brauen zusammen. »Wo steckt er denn? Soll das heißen, er ist betrunken oder treibt sich irgendwo herum und wartet nur auf den Moment, unauffällig wieder aufzutauchen – oder sieht es nach einem Fluchtversuch aus?«
»Wir wissen alle nur, Masser«, stammelte Bell, »er ist einfach nicht da; wir haben ihn schon überall gesucht.«
Masser Waller studierte seine Kaffeetasse. »Ich geb ihm Zeit bis heute abend – nein, morgen früh –, bevor ich etwas unternehme.«
»Masser, er ist ein so guter Junge, hier auf Eurer Pflanzung geboren und groß geworden und gut erzogen, und hat sein Leben lang gut gearbeitet und Euch oder sonstwem nie das kleinste bißchen Ärger gemacht –«
Er sah Bell ruhig an. » Wenn er versucht hat wegzulaufen, wird er es bereuen.«
»Jasörr, Masser.« Bell floh in den Hof, um den anderen zu berichten, was der Masser gesagt hatte. Aber kaum waren Cato und der Fiedler eilig zu den Baumwollfeldern aufgebrochen, rief der Masser Bell wieder ins Haus und befahl Kunta, den Wagen anzuspannen.
Den ganzen Tag lang, auf dem Weg von einem Patienten zum nächsten, schwankte Kunta zwischen Begeisterung, wenn er an den tapferen Flüchtling dachte, und Todesangst beim Gedanken an Dornengestrüpp und Bluthunde. Er konnte nachfühlen, was Noah jetzt an Hoffnung und Qual auszustehen hatte.
Bei einer heimlichen abendlichen Zusammenkunft wagten alle nur im Flüsterton zu sprechen.
»Dieser Junge ist auf und davon«, sagte Tante Sukey. »Ich hab’s ihm schon lange an den Augen angesehn.«
»Na ja, der ist keiner von denen, die sich bloß rumtreiben und besaufen«, pflichtete Schwester Mandy ihr bei.
Noahs Mutter krächzte heiser, denn sie hatte den ganzen Tag geweint: »Mein Baby! Ist ja wahr – er hat beinah von nichts anderm mehr reden können wie vom Wegrennen! Allmächtiger – ob der Masser ihn nun verkauft?«
Hierauf wagte niemand eine Antwort.
Als Kunta mit den Seinen in die eigene Hütte zurückkehrte, brach Kizzy, kaum daß sie die Schwelle überschritten hatte, in Tränen aus und sank am Tisch auf den Stuhl. Kunta stand hilflos und stumm dabei. Aber Bell ging ohne ein Wort hinüber, nahm ihre schluchzende Tochter in die Arme und bettete deren Kopf an ihrer Brust.
Auch der Dienstagmorgen brachte kein Lebenszeichen von Noah, und der Masser befahl Kunta, ihn nach Spotsylvania zu fahren, wo er sich unverzüglich zur Gefängnisverwaltung begab. Nach einer Weile kam er mit dem Sheriff heraus, wies Kunta knapp an, das Pferd des Sheriffs hinten am Wagen anzubinden und sie dann beide nach Hause zu fahren. »Wir setzen den Sheriff an der Creek Road ab«, fügte der Masser hinzu.
Der Sheriff redete die ganze Fahrt über unbekümmert drauflos. »Heutzutage entlaufen so viele Nigger, daß wir alle Hände voll zu tun haben … Sie versuchen, sich lieber irgendwie durchzuschlagen, als daß sie sich in den Süden verkaufen lassen …«
»Seit ich meine Pflanzung besitze«, sagte der Masser, »habe ich noch nie einen von meinen Niggern verkauft, außer wenn sie gegen die Vorschriften verstoßen. Und das wissen sie alle sehr gut.«
»Aber es ist verdammt selten, daß Nigger einen guten Masser zu schätzen wissen, Doktor, wem sag ich das. Wie alt, sagt Ihr, ist dieser Bursche? Um die achtzehn? Na, da ist er vermutlich nicht viel anders als die meisten Feldsklaven in dem Alter. Jede Wette, daß er in den Norden will.« Kunta steifte das Rückgrat. »Wenn er ’n Hausnigger wäre – die sind meistens redegewandter und versuchen, sich mit falschen Papieren als freie Nigger durchzumogeln, oder sie behaupten, sie wären im Auftrag ihres Masser unterwegs und hätten ihren Passierschein verloren, und damit versuchen sie bis Richmond oder ’ne andre größere Stadt zu kommen, wo sie zwischen den vielen freien Niggern leichter untertauchen können und vielleicht sogar Arbeit finden.« Der Sheriff hielt einen Moment inne. »Hat der Junge außer seiner Mammy auf Eurer Pflanzung noch irgendwelche Verwandte woanders, zu denen er erst mal gegangen sein könnte?«
»Meines Wissens keine.«
»Wißt Ihr dann vielleicht zufällig, ob er irgendwo ’n Mädchen hat? Wenn in diesen jungen Böcken nämlich der Saft schwillt, lassen sie glatt ihre Mulis im Feld stehn und hauen ab.«
»Nicht daß ich wüßte«, sagte der
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