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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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wußte im voraus, daß etwas Furchtbares geschehen war, als sie beim Hereinstürzen fast die Tür aus den Angeln riß.
    Mit verzerrtem, tränenüberströmtem Gesicht stieß sie hervor: »Der Sheriff und der Masser reden mit Kizzy!«
    Er stand wie vor den Kopf geschlagen. Sekundenlang starrte er Bell ungläubig an, dann aber packte er sie bei den Schultern, schüttelte sie heftig und fragte: »Was wollen sie von ihr?«
    Mit überkippender, halberstickter Stimme brachte Bell ihren Bericht zustande: Der Sheriff war kaum im Haus, als der Masser schon nach Kizzy schrie, die gerade oben sein Schlafzimmer aufräumte. »Ich hör ihn brüllen und sause von der Küche in den Flur, wo ich immer zum Horchen hingeh, aber ich konnt nichts verstehen, außer daß der Masser mächtig wütend war.« Bell rang nach Luft. »Dann klingelte der Masser meine Klingel, und ich renn zurück, damit es aussieht, wie wenn ich aus der Küche komm. Aber der Masser hatte die Tür schon auf und stand da mit der Hand auf dem Türknopf, und so hat er mich noch nie angesehn wie in dem Moment. Und er sagt zu mir, kalt wie Eis: ›Raus aus ’m Haus und draußen bleiben, bis ich dich rufe!‹« Bell trat an das kleine Fenster und starrte zum Herrenhaus hinüber, als könne sie nicht fassen, daß dies alles wirklich geschehen war. »O du mein Herr und Gott! Was in aller Welt will der Sheriff von meinem Kind?« fragte sie benommen.
    Kunta marterte sein Hirn um einen vernünftigen Gedanken. Sollte er auf den Acker laufen und die Leute alarmieren, die dort gerade beim Dreschen waren? Aber er ahnte instinktiv, daß in seiner Abwesenheit noch Schlimmeres geschehen konnte.
    Als Bell durch den Vorhang in die gemeinsame Schlafkammer wankte, immer noch aus vollem Halse ihren Jesus anflehend, konnte Kunta seine Wut kaum mehr zügeln. Sah sie denn immer noch nicht ein, was er ihr seit fast vierzig Regen einzuhämmern suchte – daß sie sich allzu leichtgläubig und willig von der angeblichen »Güte« des Masser – oder der toubobs überhaupt – täuschen ließ?
    »Ich muß zurück!« schrie Bell plötzlich und war schon aus der Tür.
    Kunta sah sie im Kücheneingang verschwinden. Was hatte sie vor? Er rannte ihr nach und spähte durch die Fliegentür. Die Küche war leer, und die Tür zum Flur fiel gerade zu. Kunta ging hinein, dämpfte das Klappen der Fliegentür mit der Hand und schlich auf Zehen durch die Küche. Eine Hand am Knauf der Korridortür, die andere zur Faust geballt, strengte er die Ohren an, aber alles, was er vernahm, war sein eigenes keuchendes Atmen.
    Endlich hörte er Bells Stimme, sehr leise: »Masser?«
    Keine Antwort. »Masser!« rief sie noch einmal, diesmal schärfer. Zugleich hörte er, wie die Salontür geöffnet wurde. »Wo ist meine Kizzy, Masser?«
    »In meinem Gewahrsam«, erwiderte Masser Waller steinern. »Wir lassen nicht noch eine entlaufen.«
    »Ich versteh Euch nicht, Masser.« Bell sprach so leise, daß Kunta sie kaum hören konnte. »Das Kind ist doch so gut wie nie aus Eurem Hof rausgekommen.«
    Der Masser zögerte einen Moment, bevor er sagte: »Möglich, daß du wirklich nicht weißt, was sie getan hat. Dieser Junge, Noah, ist eingefangen, aber nicht ohne zwei Wachmänner mit Messerstichen schwer verletzt zu haben. Sie hatten den gefälschten Paß beanstandet, den er bei sich trug. Nachdem man ihn überwältigt hatte, gestand er, daß der Passierschein nicht von mir geschrieben war, sondern von deiner Tochter. Sie hat es dem Sheriff gegenüber soeben selbst gestanden.«
    Einen endlosen, beklemmenden Moment lang herrschte Totenstille. Dann hörte Kunta einen Schrei und polternde Schritte. Als er die Tür aufriß, rannte Bell an ihm vorbei – sie drückte ihn mit der Kraft eines Mannes einfach aus dem Weg – und zur Hintertür hinaus. Der Gang war leer, die Salontür geschlossen. Kunta lief Bell nach und holte sie vor der Hütte ein.
    »Der Masser wird Kizzy verkaufen, ich weiß es!« kreischte Bell, und in Kunta schien etwas zu zerspringen. »Ich hol sie!« würgte er und humpelte so schnell wie möglich zum Herrenhaus zurück; Bell blieb ihm dicht auf den Fersen. Rasend vor Wut riß er die Türen auf und trampelte den geheiligten, ihm streng verbotenen Korridor entlang.
    Der Masser und der Sheriff fuhren mit ungläubigen Gesichtern herum, als die Salontür aufflog. Kunta stand abrupt still; in seinen Augen brannte tödliche Entschlossenheit. Hinter ihm schrie Bell:
    »Wo ist unser Kind? Wir kommen es holen!«
    Kunta

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