Wurzeln
sah den Sheriff mit der rechten Hand zum Revolver greifen, während der Masser nur zischte: »Hinaus!«
»Könnt ihr Nigger nicht hören?« Der Sheriff hatte den Revolver gezückt, und Kunta spannte alle Muskeln zum Sprung – als er plötzlich Bells zitterndes »Jasörr!« hinter sich hörte und ihr verzweifeltes Ziehen an seinem Arm spürte. Dann bewegten sich seine Füße wie von selbst rückwärts über die Schwelle, die Tür wurde zugeschlagen, und der Schlüssel klirrte im Schloß.
Als Kunta mit seiner Frau im Flur hockte und die Schande über sich zusammenschlagen fühlte, drangen noch rasche, gedämpfte Gesprächsfetzen aus dem Salon an ihr Ohr, dann andere Geräusche, wie ein schwaches Scharren und Schleifen … dann, unverkennbar, ein Schluchzen Kizzys und das Zuschlagen einer anderen, entfernteren Tür.
»Kizzy, Kizzy! Kind! Großer Gott, laß sie mein Kind nicht verkaufen!« Bell stürzte aus der Hintertür, Kunta ihr nach. Ihre Schreie drangen bis zu einigen Feldarbeitern, die herbeirannten. Cato kam gerade zurecht, um Bell wie von Sinnen toben und sich aufbäumen zu sehen. Kunta suchte sie wie ein tolpatschiger Bär festzuhalten. Gleich darauf kam Masser Waller die Vordertreppe heruntergestürzt, gefolgt von dem Sheriff, der die weinende und sich heftig sträubende Kizzy an einer Kette hinter sich her zerrte.
»Mammy! Maaaaaaaamy!« schrie Kizzy.
Bell und Kunta sprangen vom Boden auf und wandten sich drohend wie sprungbereite Löwen der Gruppe vor dem Hause zu. Wieder zog der Sheriff den Revolver und zielte auf Bell; sie verhielt den Schritt und starrte Kizzy an. »Hast du wirklich getan, was sie sagen?« Die Frage kam wie aus zugeschnürter Kehle. Alle sahen, wie Kizzys rote, überströmende Augen eine stumme Antwort gaben und dann flehend von ihren Eltern zu den beiden Weißen wanderten – aber sie sprach kein Wort.
»O mein Herr und Gott!« schrie Bell auf. »Gnade, Masser, Gnade! Sie hat’s nicht so gemeint! Sie hat nicht gewußt, was sie tat – Missy Anne, die hat sie das Schreiben doch erst gelernt!«
»Gesetz ist Gesetz«, sagte Masser Waller eisig. »Sie hat meine Regeln gebrochen. Sie hat einen Betrug begangen. Womöglich hat sie sogar Beihilfe zum Mord geleistet. Wie ich höre, ist einer der beiden Weißen lebensgefährlich verletzt.«
»Aber sie hat den Mann doch nicht gestochen, Masser! Masser, sie hat brav für Euch gearbeitet, seit sie groß genug ist, Euren Nachttopf rauszutragen! Und ich, ich hab gekocht und Euch in allem bedient, mehr als vierzig Jahre lang, und er –«, sie zeigte auf Kunta und stotterte weiter, »er hat Euch überall hingefahren, fast ebenso lange Zeit. Masser, soll das alles denn gar nicht mehr zählen?«
Masser Waller sah über sie hinweg. »Ihr habt eure Arbeit getan. Dazu seid ihr da. Sie wird verkauft. Mehr ist dazu nicht zu sagen.«
»Nur ganz gemeine, schlechte Weiße reißen Familien auseinander!« rief Bell. »Ihr seid doch nicht von der Sorte!«
Masser Waller gab dem Sheriff einen ärgerlichen Wink, und dieser begann Kizzy grob zum Wagen zu drängen.
Bell vertrat ihnen den Weg. »Dann verkauft mich und ihren Vater gleich mit! Reißt uns nicht auseinander!«
»Aus dem Weg!« blaffte der Sheriff und stieß sie roh beiseite.
Kunta brüllte auf, sprang gleich einem Leoparden auf den Sheriff zu und schlug ihn mit der Faust zu Boden.
»Rette mich, fa !« schrie Kizzy. Er faßte sie um die Taille und riß wild an ihrer Kette. Als der Sheriff ihm den Revolvergriff gegen die Schläfe schlug, schien ihm der Kopf zu bersten, und er brach in die Knie. Bell stürzte sich wieder auf den Sheriff, aber mit einer Armbewegung schleuderte er sie von sich, so daß auch sie schwer hinfiel, während er Kizzy auf den Rücksitz des Wagens stieß und ein Vorhängeschloß an ihrer Kette zuschnappen ließ. Dann war er mit einem Sprung auf dem Kutschbock und versetzte dem Pferd einen Peitschenhieb. Der Vorwärtsruck brachte den Wagen ins Schleudern, weil Kunta sich hinten angeklammert hatte. Benommen, mit dröhnendem Kopf, gleichgültig gegen den Revolver, stolperte er nach, obwohl der Wagen immer schneller fuhr.
»Missy Anne! … Missy Anne!« schrie Kizzy mit gellender Stimme, wieder und immer wieder … Ihre Schreie schienen hinter dem Wagen, der schon in die Hauptstraße einbog, in der Luft hängenzubleiben.
Als Kunta strauchelnd und nach Luft ringend aufgeben mußte, war der Wagen schon eine halbe Meile weit fort. Lange stand er da und sah ihm nach, bis der
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