Wurzeln
Talente des Jungen, seine Gabe des Parodierens, zur beliebtesten Unterhaltung im Sklavenquartier. Am häufigsten wurde er aufgefordert, Masser Lea nachzumachen. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß der Masser sich nicht in Reichweite befand, legte George, die Augen zusammenkneifend und Grimassen schneidend, zornig los: »Wenn ihr Nigger dieses Baumwollfeld bis Abend nicht abgelesen habt, kriegt ihr alle keine Rationen mehr zu essen!« Die Erwachsenen schütteten sich aus vor Lachen. »Habt ihr so einen Jungen schon mal gesehn?« riefen sie. »Ich nicht!« … »Richtig toll!« George brauchte einen Menschen nur kurze Zeit zu beobachten, dann konnte er den Betreffenden auf höchst komische Art nachäffen – etwa einen weißen Pfarrer, mit dem der Masser nach dem Essen zu den Sklaven gekommen war, damit er ihnen eine Predigt halte. Und als George den geheimnisvollen alten Mingo zu Gesicht bekommen hatte, der die Kampfhähne des Masser abrichtete, konnte er auch die ruckartigen Bewegungen des alten Mannes bald glänzend imitieren. Er fing sich zwei Haushühner, hielt sie an den Beinen fest, stieß sie mit den Köpfen aneinander und ließ die Hühner dazu sprechen: »Häßlicher alter Gauner mit der Geierfresse, ich kratz dir die Augen aus!« Worauf das zweite Huhn verächtlich erwiderte: »Was bist du schon groß, ’ne Handvoll Federn, sonst nichts!«
Als Masser Lea am folgenden Sonnabend die Wochenration verteilte und Kizzy, Schwester Sarah, Miss Malizy und Onkel Pompey vor ihren Hütten standen, um ihr Teil in Empfang zu nehmen, wäre George, der eine Ratte jagte, um Haaresbreite mit dem Masser zusammengeprallt. Halb belustigt fuhr Masser Lea ihn barsch an: »Und womit verdienst du dir deine Rationen, Junge?« Die vier Erwachsenen trauten ihren Augen und Ohren nicht, als der neun Jahre alte George selbstbewußt die Schultern straffte und, dem Masser furchtlos in die Augen sehend, antwortete: »Ich arbeite auf dem Feld, und ich predige, Masser!« Masser Lea erwiderte überrascht: »Na, dann laß mal hören, wie du predigst!« George trat einen Schritt zurück und kündigte an: »Ich bin der weiße Pfarrer, der neulich hier war, Masser!« Und schon fuchtelte er mit den Armen und zeterte: »Wenn ihr glaubt, daß Onkel Pompey dem Masser Schweinefleisch geklaut hat, sagt es dem Masser! Wenn ihr Miss Malizy dabei erwischt, wie sie Missis’ Mehl stiehlt, sagt es eurem Masser! Nur wenn ihr brave Nigger seid und eurem guten Masser und eurer guten Missis treu und ehrlich dient, kommt ihr einmal in die himmlische Küche!«
Noch bevor George zu Ende war, bog sich Masser Lea vor Lachen. Der Junge ließ seine kräftigen weißen Zähne blitzen und stimmte eines von Miss Malizys Lieblingsliedern an: »Ich bin’s, ich bin’s, ich bin’s, o Herr, der eines Gebetes bedarf! Nicht meine Mammy, nicht mein Pappy, ich bin’s, o Herr, der eines Gebetes bedarf. Nicht der Pfarrer, nicht der Küster, sondern ich, o Herr, bedarf des Gebetes!«
Keiner der Erwachsenen hatte Masser Lea jemals so herzlich lachen sehen. Offensichtlich entzückt, klopfte er George auf die Schulter. »Junge, du kannst hier predigen, sooft du Lust hast!« Er überließ es seinen Sklaven, die Rationen unter sich aufzuteilen, und ging immer noch lachend davon. George sah ihm grinsend nach.
Wochen später brachte Masser Lea von einer Reise zwei lange Pfauenfedern mit. Er schickte Miss Malizy aufs Feld, den Jungen zu holen, und zeigte ihm, wie er den Gästen, die für den kommenden Sonntag zum Essen eingeladen waren, mit den Federn Kühlung fächeln sollte.
»Sie spielen sich auf und wollen es den reichen Weißen nachmachen!« höhnte Miss Malizy, nachdem Kizzy den Jungen gründlich geschrubbt und säuberlich gekleidet ins Herrenhaus geschickt hatte. George ließ sich kaum zügeln, so erregte ihn der Gedanke an sein neues Amt und die Aufmerksamkeit, die ihm von allen – sogar vom Masser und von der Missis – zuteil wurde.
Die Gäste waren noch bei Tisch, als Miss Malizy sich aus der Küche fortstahl, um ihrem wartenden Publikum Bericht zu erstatten. »Der Junge ist ganz groß!« Sie beschrieb, wie George die Pfauenfedern schwenkte. »Verdreht die Handgelenke, beugt sich vor und zurück und macht mehr Theater als der Masser und die Missis zusammen! Und wie der Masser nach dem Dessert den Wein einschenkt, hat er plötzlich eine Idee und sagt: ›He, Junge, willst du uns nicht was predigen?‹ Und ich schwör euch, der Bengel war drauf gefaßt, denn gleich
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