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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Gesicht. »Soll ich dir wahrsagen?«
    Kizzy erinnerte sich, daß sowohl Onkel Pompey als auch Miss Malizy davon gesprochen hatten, daß Schwester Sarah die Kunst des Wahrsagens beherrsche, und darum antwortete sie: »Das möcht ich schon, Schwester Sarah.«
    Schwester Sarah hockte sich auf den Boden und zog eine große Schachtel unter dem Bett hervor. Dieser entnahm sie eine kleinere Schachtel, die geheimnisvoll aussehende getrocknete Gegenstände enthielt, und wandte sich damit Kizzy zu. Nachdem sie die Gegenstände sorgfältig in symmetrischer Anordnung vor sich ausgebreitet hatte, holte sie ein kurzes, rutenartiges Stäbchen aus dem Ausschnitt ihres Kleides und rührte alles kräftig durcheinander. Sodann beugte sie sich darüber und sagte mit unnatürlich hoher Stimme: »Ich sag dir nicht gerne, was die Geister sagen. Du wirst deinen Pappy und deine Mammy nie wiedersehn, nicht auf dieser Welt …«
    Kizzy brach in Tränen aus. Ohne auch nur im geringsten auf sie zu achten, schob Schwester Sarah ihre Gegenstände wieder zusammen. Dann rührte und rührte sie, viel länger als das erstemal, bis Kizzy sich einigermaßen beruhigt hatte und ihre Tränen spärlicher flossen. Mit feuchten Augen und scheuem Erstaunen beobachtete sie, wie das Stäbchen zitterte und zuckte. Dann begann Schwester Sarah kaum hörbar zu murmeln: »Sieht nicht gut aus … der einzige Mann, den sie liebt … hat ’n verdammt schweren Weg vor sich … und er liebt sie auch. Aber die Geister sagen ihm, es ist besser, wenn man die Wahrheit weiß … und die Hoffnung aufgibt …«
    Kizzy heulte laut los, was Schwester Sarah sehr mißbilligte. »Schschsch, schschsch! Du darfst die Geister nicht verscheuchen, Tochter. Schschsch, schschsch!« Kizzy aber lief immer noch heulend in ihre eigene Hütte und knallte die Tür hinter sich zu. Gleichzeitig sprang die Tür von Onkel Pompeys Hütte auf, und die Gesichter von Masser und Missis Lea, Miss Malizy und George wurden an den Fenstern des Herrenhauses und der Küche sichtbar.
    Heulend und um sich schlagend, lag Kizzy auf ihrer Maisstrohmatratze, als George gerannt kam. »Mammy! Mammy! Was iss’n los?« Tränen liefen über ihr verzerrtes Gesicht, und sie kreischte hysterisch: »Ach, sei still!«

Kapitel 87
    Mit drei Jahren gab George zu erkennen, daß er gewillt war, den Erwachsenen im Sklavenquartier zu »helfen«. »Meine Güte«, wunderte sich Miss Malizy lachend, »er will mir Wasser bringen und kann kaum den Eimer heben!« Und ein andermal: »Hat er doch tatsächlich Scheit um Scheit angeschleppt, bis die Holzkiste voll war! Und dann noch die Asche verscharrt!« So stolz Kizzy auch war, sie hütete sich, Miss Malizys Lobreden vor George zu wiederholen, der ihr ohnehin schon zu naseweis war.
    »Wieso bin ich nicht schwarz wie du, Mammy?« Kizzy schluckte und antwortete: »Die Menschen werden eben so geboren.«
    Nicht lange, und er kam wieder auf dieses Thema. »Mammy, wer ist mein Pappy? Warum ist er nicht hier? Wo ist er?« Kizzy antwortete drohend: »Halt jetzt endlich den Mund!« Doch Stunden später lag sie immer noch wach neben ihm und sah im Dunkeln den verletzten, verwirrten Ausdruck auf seinem Gesicht, und als sie ihn am nächsten Morgen bei Miss Malizy ablieferte, versuchte sie eine lahme Entschuldigung: »Du stellst mir so viele Fragen, du machst mich ganz krank damit.«
    Aber sie wußte, daß sie für ihren äußerst regen und wißbegierigen Sohn andere Antworten würde finden müssen, Antworten, die er verstehen und akzeptieren konnte. Also verlegte sie sich darauf, ihm von seinem Großvater zu erzählen, einem richtig schwarzen Mann, groß und ernst. George zeigte sich interessiert und wollte mehr hören. Sein Großpappy, erzählte Kizzy, sei auf einem Schiff aus Afrika gekommen. Ein Bruder von ihrem früheren Masser Waller habe ihn auf eine Pflanzung in Spotsylvania County gebracht, aber der Großvater habe versucht zu fliehen. Vor das Problem gestellt, wie sie den nächsten Teil ihrer Geschichte abschwächen sollte, entschloß sie sich, es kurz zu machen. »… und als er immer wieder weglief, hackten sie ihm den halben Fuß ab.«
    Das Gesicht des Kleinen verdüsterte sich. »Warum denn?«
    »Er hat beinah ein paar Niggerjäger totgemacht.«
    »Werden Nigger denn gejagt?«
    »Na ja, wenn sie weglaufen.«
    »Vor wem laufen sie weg?«
    »Vor den weißen Massers.«
    »Was tun ihnen die weißen Massers?«
    In die Enge getrieben, schrie sie ihn an: »Halt endlich die Klappe! Laß mich in

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