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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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hatte Mingo mehr Zeit, die nun voll entwickelten Zweijährigen abzurichten und in Form zu bringen, die noch im Freigehege waren.
    Mingo zeigte George an seinem ersten Arbeitstag, wie die jungen Hähne in Gehegen zusammen mit Vögeln ungefähr gleichen Alters und gleicher Größe gefüttert wurden. Als er sah, daß der Junge seine Sache gewissenhaft machte, ließ der Alte ihn die Hähnchen füttern, die, obwohl noch kein Jahr alt, durch die Lücken im Zaun kampfwütig aufeinander losgingen. Der alte Mingo hielt George richtig in Trab; er hatte alle Hände voll zu tun, die Vögel mit geschrotetem Mais, sauberem Sand, Knochenkohle und gemahlenen Austernschalen zu versorgen und dreimal am Tag das frische Quellwasser in ihren Trinknäpfen auszuwechseln.
    George hätte nie geglaubt, daß Hühner ihm Respekt einflößen könnten, doch das taten sie, insbesondere die Hähnchen, denen jetzt Sporen und ein schillerndes Federkleid wuchsen und die schon kühn mit herausfordernd funkelnden Augen umherstolzierten. War Mingo nicht in der Nähe, erlaubte George sich manchmal, ein Hähnchen auszulachen, das plötzlich den Kopf zurückwarf und unbeholfen zu krähen versuchte, wie um mit Mingos sechs- oder siebenjährigen Hähnen zu konkurrieren, deren jeder einzelne mit Narben aus früheren Kämpfen bedeckt war. Onkel Mingo nannte sie »Lockhähne« und fütterte sie immer selbst. Im Geist sah George sich als eines der Hähnchen und Onkel Mingo als einen der alten Hähne.
    Mindestens einmal am Tag kam Masser Lea den sandigen Karrenweg heruntergeritten, der zum »Hah­nen­grund« führte. Dann hielt George sich möglichst im Hintergrund, denn ihm entging nicht, um wieviel kühler und abweisender ihm der Masser hier begegnete. Er hatte Miss Malizy sagen hören, der Masser erlaube nicht einmal der Missis Zutritt zum Hahnengrund, sie habe ihm aber entrüstet versichert, nichts interessiere sie weniger als sein Geflügel.
    Wenn der Masser und Mingo die Gehege inspizierten, blieb Mingo einen Schritt hinter ihm, nahe genug, um trotz des Krähens der alten Kampfhähne alles zu hören, was der Masser sagte, und antworten zu können. Es fiel George auf, daß der Masser mit Onkel Mingo fast wie mit einem guten Bekannten sprach, was ganz im Gegensatz zu dem schroffen und kalten Ton stand, den er gegenüber Onkel Pompey, Schwester Sarah und Georges Mammy anschlug, die eben nur Landarbeiter waren. Wenn ihr Inspektionsgang sie in die Nähe der Stelle führte, wo George arbeitete, hörte er, was sie sprachen. »In dieser Saison lassen wir dreißig Hähne kämpfen. Wir müssen ungefähr sechzig oder noch mehr aus dem Freigehege nehmen«, sagte der Masser eines Tages.
    »Ja, Masser, von sechzig bleiben bestimmt vierzig übrig, die sich gut abrichten lassen.«
    Mit jedem Tag sammelten sich bei George mehr Fragen an, doch meinte er, er täte gut daran, Onkel Mingo nicht zu behelligen. Mingo rechnete es dem Jungen an, daß er nicht unnötig den Mund aufmachte. Weise Züchter behalten ihre Geheimnisse für sich. Er behielt George bei der Arbeit stets scharf im Auge und ließ sich nicht die geringste Kleinigkeit entgehen. Ganz bewußt erteilte er ihm seine Aufträge in knappen Worten und ging gleich wieder davon. Der Junge sollte zeigen, wie schnell und wie gut er Anweisungen erfaßte und befolgte. Zum Glück brauchte man ihm die meisten Dinge nur einmal zu sagen.
    Nach einigen Wochen sagte Mingo zu Masser Lea, er sei mit der Art, wie George die Kampfhähne füttere und betreue, zufrieden, fügte allerdings einschränkend hinzu: »Soweit ich das nach der kurzen Zeit sagen kann, Masser.«
    Masser Leas Antwort traf Mingo völlig unvorbereitet: »Ich hab mir schon gedacht, daß du den Jungen für dauernd haben mußt. Deine Hütte ist nicht groß genug, also stellt hier irgendwo eine Hütte auf für ihn, damit du ihn bei der Hand hast.« Mingo war entsetzt darüber, daß jemand in die Abgeschiedenheit einbrechen sollte, die er seit mehr als zwanzig Jahren mit den Kampfhähnen teilte, er hütete sich aber, offen auszusprechen, wie sehr ihm das gegen den Strich ging.
    Als der Masser gegangen war, wandte er sich in grämlichem Ton an George: »Der Masser sagt, ich brauch dich die ganze Zeit hier. Kann sein, er weiß was, was ich nicht weiß.« – »Jasörr«, erwiderte George, bemüht, keine Miene zu verziehen. »Aber wo soll ich schlafen?«
    »Wir bauen ’ne Hütte für dich.«
    Sosehr ihn auch die Arbeit mit den Kampfhähnen und das Zusammensein mit Onkel

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