Wurzeln
anderes mehr denken. Seine Nachdenklichkeit fiel auf, und die anderen Ziegenhirten ließen ihn in Ruhe, sogar Sitafa. Dem kleinen Bruder, der ihn anbetete, begegnete er so schroff, daß Lamin sich verletzt und ratlos zurückzog. Kunta merkte wohl, daß er sich übel aufführte gegen den Kleinen, er konnte sich aber nicht helfen.
Er wußte, daß hin und wieder ein besonders vom Glück begünstigter Knabe vom Vater, einem Onkel oder einem erwachsenen Bruder auf eine Reise mitgenommen wurde, er wußte aber auch, daß man keine Knaben von acht Regen auf Reisen mitnimmt, ausgenommen vaterlose Knaben, denen das Gesetz besondere Vorrechte einräumte. Ein vaterloser Knabe durfte sich an einen beliebigen Erwachsenen anschließen, und dieser würde alles mit ihm teilen, was er besaß, auch wenn die Wanderung Monde dauerte, immer vorausgesetzt, der Knabe folgte ihm in zwei Schritt Abstand, tat, was man ihm auftrug, klagte nicht und redete nicht ungefragt.
Kunta war schlau genug, niemanden merken zu lassen, woran er dachte, auch die Mutter nicht. Er glaubte, Binta würde nicht nur dagegen sein, sondern ihm auch verbieten, überhaupt davon zu reden, was wiederum bedeutet hätte, daß Omoro gar nicht erfahren würde, wie sehnlich Kunta ihn zu begleiten wünschte. Die einzige Hoffnung lag darin, daß Kunta seinen fa selber fragte, falls er ihn je unter vier Augen sprechen konnte.
Omoros Aufbruch sollte nun in drei Tagen stattfinden. Kunta sah von der Weide aus, daß der Vater Bintas Hütte verließ. Er störte sogleich seine Ziegen auf, ohne sie jedoch in eine bestimmte Richtung zu treiben, und ließ Omoro so weit fortgehen, daß er bestimmt von Binta nicht mehr gesehen werden konnte. Dann überließ er notgedrungen seine Ziegen sich selber, setzte wie ein Hase seinem Vater nach und trat ihm atemlos in den Weg. Er schaute ihn flehend an, konnte sich aber an keines der Worte erinnern, die zu sagen er sich vorgenommen hatte.
Omoro schaute seinen Sohn prüfend an und sagte dann nur: »Ich habe es gerade deiner Mutter gesagt.« Und damit ging er weiter. Kunta begriff erst Sekunden später, was der Vater damit gemeint hatte, und er brach, ohne es eigentlich zu merken, in ein Freudengeheul aus. Dann warf er sich auf den Bauch, hüpfte wie ein Frosch und rannte zurück zu den Ziegen.
Als er sich genügend gefaßt hatte, um den anderen Hirten zu erzählen, was ihm widerfahren war, zeigten sich die so eifersüchtig, daß sie ihn schnitten. Mittags allerdings konnten sie ihre Neugier nicht mehr bezähmen und wollten alles ganz genau wissen. Nun aber war Kunta nachdenklich geworden, denn er begriff, daß sein Vater sich in Gedanken mit ihm beschäftigte, seit die Trommel die Neuigkeit verkündet hatte.
Als Kunta nachmittags die Ziegen heimgetrieben hatte und aufgeregt in die mütterliche Hütte eilte, bekam er von Binta so heftige Schläge, daß er flüchtete, ohne zu fragen, was er denn ausgefressen habe. Und gegen Omoro benahm sie sich ebenfalls auf erschreckende Weise. Sogar Lamin wußte bereits, daß die Frau unter gar keinen Umständen ohne Respekt zu einem Mann sprechen darf, und doch äußerte Binta in Omoros Hörweite laut ihr Mißfallen darüber, daß Kunta seinen Vater durch den Busch begleiten dürfe, obwohl die Trommeln von überallher berichteten, daß immer wieder Menschen geraubt wurden. Die morgendliche Grütze stampfte sie mit einer Heftigkeit, als bearbeite sie nicht den Mörser, sondern eine Trommel.
Kunta schlüpfte am anderen Tag zeitig aus der Hütte, um weiteren Prügeln zu entgehen, Lamin aber wurde von seiner Mutter geküßt und geherzt wie schon seit Jahren nicht mehr. Lamin ließ Kunta merken, wie peinlich ihm das war, aber ändern ließ sich daran nun nichts.
Fast alle Erwachsenen, denen er über den Weg lief, gratulierten ihm zu der Ehre, die es bedeutete, in so jungen Jahren schon den Vater auf einer Reise begleiten zu dürfen, und der guterzogene Kunta bedankte sich jedesmal artig. Einmal im Busch jedoch, stolzierte er einher wie ein Gockelhahn und wußte sich wunder was mit einem besonders großen Bündel, das er auf dem Kopf balancierte. Am nächsten Morgen wollte er ein gleich großes Bündel hinter seinem Vater hertragen, vorüber am Baum der Reisenden. Das mißlang allerdings. Das Bündel fiel dreimal hinunter, ehe er noch drei Schritte getan hatte.
Auf dem Heimweg überkam ihn plötzlich der heftige Wunsch, Nyo Boto zu besuchen, bevor er sich zahllosen anderen Aufgaben zuwandte, die alle noch zu
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