Wurzeln
mußte fast ständig mit beiden Händen hinfassen.
Nach einer Weile näherte man sich dem Baum der Reisenden eines fremden Dorfes; wie es wohl hieß? Gewiß kannte er den Namen, doch sein Vater sagte kein Wort, hatte weder gesprochen noch sich umgesehen, seit man aus Juffure fort war. Gleich darauf sah Kunta die kleinen nackten Kinder des ersten kafo , die ihnen neugierig entgegenliefen, wie er selber beim Anblick von Fremden in jenem Alter getan hatte. Sie winkten, sie riefen Begrüßungen, und als sie näher kamen, sah Kunta, daß sie bei seinem Anblick staunend die Augen aufrissen: ein so junger Knabe schon auf Reisen mit dem Vater?
Sie hüpften um ihn herum und schnatterten: »Wo wollt ihr hin? Ist das dein fa ? Bist du ein Mandinka? Wie heißt dein Dorf?« Kunta kam sich bei aller Erschöpfung doch recht wichtig und erwachsen vor, und er ignorierte die Knirpse, wie es sein Vater tat.
Am Baum der Reisenden gabelte sich der Weg, einer führte ins Dorf, der andere am Dorf vorbei, was Leuten, die hier nichts wollten, erlaubte, das Dorf zu umgehen, ohne unhöflich zu wirken. Als Omoro und Kunta den am Dorf vorbeiführenden Weg einschlugen, bedauerten die Kinder das lauthals, doch die unter dem Affenbrotbaum versammelten Erwachsenen gönnten den Reisenden nur flüchtige Blicke, denn ihre Aufmerksamkeit galt ganz dem griot , den Kunta deutlich die Herrlichkeit der Mandinka preisen hörte. Bestimmt würden auch bei der Einweihung des Dorfes der Onkel viele griots Preislieder singen.
Schweiß rann Kunta in die Augen, und er zwinkerte stark. Die Sonne war erst halb über den Himmel gewandert, seit man aufgebrochen war, doch Kunta taten die Beine so weh und seine Last wurde ihm so schwer, daß er fürchtete, es wirklich nicht schaffen zu können. Schon drohte die Angst ihn zu überwältigen, da blieb Omoro plötzlich stehen und setzte sein Bündel neben sich ab; neben dem Pfad befand sich hier ein Loch mit klarem Wasser. Kunta blieb stehen und bemühte sich, das Zittern in seinen Beinen zu unterdrücken. Das Bündel, das er abnehmen wollte, glitt ihm aus den Fingern und plumpste zu Boden. Er wußte, daß der Vater den Plumps gehört hatte, und schämte sich sehr, doch Omoro trank kniend von dem Wasser und ließ sich nicht anmerken, daß die Anwesenheit des Sohnes ihm überhaupt bewußt war.
Kunta merkte erst jetzt, wie durstig er war. Er humpelte zum Rand des Wasserlochs und kniete hin, um zu trinken, seine Beine wollten aber nicht mitmachen. Schließlich legte er sich auf den Bauch, stützte den Kopf auf die Arme und schlabberte das Wasser auf.
»Nur ein bißchen.« Dies waren die ersten Worte, die der Vater seit dem Abmarsch aus Juffure an ihn richtete, und Kunta schrak zusammen. »Nimm einen Mundvoll, warte etwas, schluck runter, und dann das gleiche noch mal.« Kunta war plötzlich zornig auf den Vater, er wußte nicht, warum. Er wollte sagen »Ja, fa «, brachte aber kein Wort heraus. Er nahm einen Mundvoll Wasser und machte es, wie er sollte. Nach ein paar weiteren Schlucken ruhte er aus. Ihm kam der Verdacht, daß seine Ausbildungszeit sich ähnlich abspielen könnte. Dann schlief er im Sitzen ein.
Als er erwachte – wie lange hatte er überhaupt geschlafen? –, war Omoro nirgendwo zu sehen, Kunta sprang auf und sah das schwere Bündel des Vaters, wo der es abgestellt hatte, er konnte also nicht weit sein. Als er umherhumpelte, merkte er erst, wie wund er sich gelaufen hatte. Er reckte sich, die Muskeln schmerzten, dennoch fühlte er sich schon besser. Kunta kniete über dem Wasser, um noch etwas zu trinken, und sah ein schmales, schwarzes Gesicht mit großen Augen und vollen Lippen. Er grinste sich an und zeigte dabei seine strahlend weißen Zähne. Darüber mußte er lachen und bemerkte im gleichen Moment, daß Omoro neben ihn getreten war. Kunta sprang verlegen auf, doch schien sein Vater in Gedanken mit anderem beschäftigt.
Im Schatten einiger Bäume aßen sie wortlos Fladen aus dem mitgeführten Vorrat, dazu vier Holztauben, die Omoro erlegt und gebraten hatte, während Kunta schlief. Über ihnen schwatzten unablässig Affen und kreischten Papageien. Kunta nahm sich vor, dem Vater bei erster Gelegenheit zu zeigen, daß auch er kleines Getier zu erlegen und zuzubereiten verstand, wie er ja auf der Weide oft genug bewiesen hatte.
Als sie mit Essen fertig waren, hatte die Sonne den Himmel zu vier Fünfteln überquert, es war also nicht mehr so heiß, als sie sich von neuem auf den Weg machten, nachdem
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