Wurzeln
erledigen waren vor dem Aufbruch. Er lieferte also die Ziegen ab, verdrückte sich, so rasch es gehen wollte, aus der mütterlichen Behausung und hockte sich vor Nyo Botos Hütte nieder. Sie erschien bald, sagte: »Ich habe dich erwartet« und winkte ihn herein. Wie immer, wenn er sie allein besuchte, saßen die beiden eine Weile schweigend. Sie fühlten, daß sie einander sehr nahe waren, trotz des großen Altersunterschiedes, und Kunta genoß dieses Gefühl, während er nachdenkend im Halbdunkel saß.
Nyo Boto sagte schließlich: »Ich habe hier was für dich« und entnahm einem Beutel aus gegerbtem Leder über ihrem Lager einen dunklen saphie- Talisman, den man um den Oberarm trägt. »Dein Großvater hat ihn gesegnet, als dein Vater mannbar wurde, und der Segen erstreckt sich auch auf Omoros Erstgeborenen, also dich. Deine Großmutter Yaisa hat ihn mir hinterlassen – ich soll ihn dir geben, ehe du mit deiner Vorbereitungszeit beginnst. Und die beginnt in Wirklichkeit jetzt, wenn du mit deinem fa auf die Reise gehst.« Kunta blickte liebevoll die alte Großmutter an, nur wußte er nicht, wie er ausdrücken sollte, was er jetzt empfand, nämlich daß sie bei ihm sein würde, einerlei wie weit er sich auch von ihr entfernte; das bewirkte mit Sicherheit der Talisman.
Omoro sah nach dem Morgengebet am nächsten Tag ungeduldig zu, wie Binta immer noch etwas an Kuntas Kopfbündel zu richten hatte. Kunta, der vor Aufregung nicht schlafen konnte, hatte sie in der Nacht weinen hören. Nun plötzlich umarmte sie ihn so heftig, daß er spürte, wie sie am ganzen Leibe bebte, und erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr sie ihn liebte.
Mit dem Freund Sitafa hatte Kunta gewissenhaft geübt, was er nun mit seinem Vater tat: Omoro und nach ihm Kunta traten zwei Schritte von der Hütte weg auf den staubigen Weg. Dann hielten sie an, machten kehrt, scharrten den Staub zusammen, der sich in ihren Fußabdrücken gesammelt hatte, und taten ihn in ihre Jagdbeutel, was ihnen die Gewißheit gab, daß ihre Schritte hierher zurückkehren würden.
Binta sah ihnen weinend vom Eingang her zu und drückte Lamin gegen ihren dicken Bauch. Omoro und Kunta gingen los. Kunta wollte sich noch ein letztes Mal umwenden, doch da sein Vater nichts dergleichen tat, blickte auch er starr geradeaus, denn ihm war eingefallen, daß es sich für einen Mann nicht schickt, seine Gefühle zu zeigen. Während sie durchs Dorf gingen, wurden sie mehrmals angesprochen, man lächelte ihnen zu, und Kunta winkte seinen kafo -Kameraden, die den Auftrieb der Ziegen hinausgeschoben hatten, um Kunta zu verabschieden. Er wußte, sie verstanden, daß er ihre Worte nicht erwiderte, denn er durfte jetzt überhaupt nicht reden. Am Baum der Reisenden machten sie halt, und Omoro hängte zwei Baumwollstreifen zu den Hunderten, die dort schon an den unteren Zweigen baumelten und deren jeder das Gebet eines Reisenden darstellte, der um sicheren Weg und gesegnete Rückkehr bat.
Kunta konnte nicht glauben, daß dies alles wirklich geschah. Zum erstenmal im Leben sollte er eine Nacht außerhalb der Hütte seiner Mutter verbringen, zum erstenmal würde er sich weiter von Juffure entfernen als sonst mit den Ziegen, es war überhaupt für vieles das erste Mal. Während Kunta noch seinen Gedanken nachhing, hatte Omoro bereits wortlos und ohne sich umzublicken, den Weg eingeschlagen, der zum Wald führte, und Kunta folgte eilends, wobei er fast sein Bündel verloren hätte.
Kapitel 18
Kunta mußte fast laufen, wenn er den Abstand zum Vater nicht länger als die vorgeschriebenen zwei Schritte werden lassen wollte. Von seinen kurzen, schnellen Schritten kamen zwei auf einen der weit ausgreifenden des Vaters. Nach etwa einer Stunde Marsch hatte Kuntas Überschwang sich ebenso gelegt, wie seine Kraft nachgelassen hatte. Die Traglast auf seinem Kopf fühlte sich schwerer und schwerer an, und ihm kam der schreckliche Gedanke: angenommen, du hältst nicht durch? Aber lieber wollte er ohnmächtig umfallen, als das zugeben.
Hier und da verschwanden bei ihrem Erscheinen grunzende Schweine im Dickicht, Rebhühner schwirrten auf, Karnickel flüchteten. Kunta war aber so darauf erpicht, mit Omoro Schritt zu halten, daß er auch einen Elefanten nicht bemerkt haben würde. Die Muskeln im Unterschenkel schmerzten schon ein wenig, er schwitzte im Gesicht und auf dem Kopf, was er daran merkte, daß die Traglast ins Rutschen kam; mal glitt sie eine Spur nach links, dann wieder nach rechts, und er
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