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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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sie ihre Traglast sorgsam auf dem Kopf ausbalanciert hatten.
    Als sie einige Zeit gegangen waren, sagte Omoro: »Der toubob kommt mit seinen Kähnen bis zu einer Tagereise von hier. Noch ist es hell, und man sieht gut, trotzdem müssen wir hohes Gras und Gebüsch meiden, denn da kann eine Überraschung verborgen sein.« Omoro berührte die Scheide seines Messers, seinen Bogen und den Köcher. »Heute müssen wir in einem Dorf übernachten.«
    In Gegenwart seines Vaters brauchte Kunta sich nicht zu fürchten, und doch erschauerte er, denn sein Lebtag hatte er Trommeln und Menschen von geraubten Brüdern sprechen hören. Sie gingen jetzt etwas rascher. Kunta bemerkte Hyänenlosung am Weg, sie war von sehr heller Farbe, denn die Hyänen haben starke Kiefer und fressen deshalb viel Knochen. Sie erschreckten eine Herde Antilopen; die Tiere blieben stehen wie Standbilder und begannen erst wieder zu grasen, als die Menschen weitergegangen waren.
    »Elefanten!« sagte Omoro etwas später, und Kunta sah, wie ringsumher der Busch zertrampelt war, den Bäumen war die Rinde abgerissen, manche waren auch entwurzelt, denn die Elefanten, die gern die zarten, oben wachsenden Blätter aßen, lehnten sich gegen die Stämme, bis diese nachgaben. Elefanten gehen niemals in der Nähe menschlicher Ansiedlungen auf Nahrungssuche. Kunta hatte also bisher nur selten einen gesehen, und dann auch nur auf große Entfernung. Als er noch klein gewesen war, kamen Elefanten laut trompetend an der Spitze Tausender Tiere aus dem Wald gerannt, als der Busch brannte; zum Glück schickte Allah rechtzeitig einen Regen, der das Feuer löschte, bevor es Juffure oder ein anderes Dorf erreichte.
    Während sie dem anscheinend endlosen Pfad folgten, kam Kunta der Gedanke, daß so, wie der Mensch mit den Füßen einen Pfad austritt, die Spinnen ihre langen, langen Fäden spinnen, an denen sie sich fortbewegen. Ob Allah wohl den Tieren und Insekten ihr Los ebenso vorbestimmte wie den Menschen? Warum hatte er eigentlich nie zuvor daran gedacht? Er hätte gar zu gern den Vater danach gefragt. Erstaunlich übrigens, daß Lamin nicht schon längst eine solche Frage gestellt hatte, denn Lamin erkundigte sich nach noch unwichtigeren Sachen, als Insekten sind. Nun, er würde dem Kleinen nach der Rückkehr eine Menge zu erzählen haben, und auch auf der Weide würde er die Kameraden mondelang mühelos unterhalten können.
    Kunta fand, daß das Land, durch das er jetzt wanderte, anders war als das, aus dem er kam. Die sinkende Sonne beschien dickere Gräser, als er bislang gesehen hatte, und zwischen bekannten Bäumen wuchsen ganze Palmen- und Kaktushaine. Abgesehen von den Stechfliegen waren hier nur kreisende Falken und Geier in der Luft, die nach Aas Ausschau hielten; von den bunten Papageien und den hübschen Singvögeln, die in Juffure unentwegt zwitscherten, nicht die Spur.
    Der orangefarbene Sonnenball setzte schon fast auf den Horizont auf, als die Wanderer dichten Qualm sichteten, der von einem vorausliegenden Dorf aufstieg. Schon am Baum der Reisenden war zu merken, daß hier nicht alles zum besten stand. Es hingen nur wenige Gebetsstreifen von den Ästen, was anzeigte, daß wenige der hier Lebenden jemals das Dorf verließen und daß Wanderer einen Bogen darum herum machten. Und es kamen ihnen auch keine Kinder zur Begrüßung entgegen.
    Kunta sah im Vorübergehen, daß der Affenbrotbaum teilweise verkohlt war; von den Lehmhütten schien gut die Hälfte unbewohnt, in den Höfen lagen Abfälle, Kaninchen hopsten träge umher, Vögel nahmen Staubbäder. Die Dorfbewohner hockten zumeist vor ihren Hütten, und man sah, daß es fast nur Alte und Kranke waren. Außer wenigen greinenden Kleinkindern schien es keine Kinder zu geben. Kunta sah keinen Jungen seines Alters, auch keinen Mann im Alter des Vaters.
    Die Wanderer wurden matt von einigen runzligen Greisen begrüßt. Der Älteste befahl einer zahnlosen Greisin, ihnen Wasser und Mais vorzusetzen; sie ist vielleicht eine Sklavin, dachte Kunta. Dann berichteten sie, einander gegenseitig ins Wort fallend, über die Ereignisse, die hier vorgegangen waren. Sklavenjäger hatten eines Nachts alle jüngeren Einwohner ermordet oder geraubt – »von deinem Regen bis zu seinem«, sagte einer der Alten und deutete erst auf Kunta, dann auf Omoro. »Uns haben sie übriggelassen. Wir hatten uns im Wald versteckt.«
    Das verlassene Dorf verfiel, weil sie nicht wagten zurückzukommen. Die Ernte war noch weit, und sie hatten

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