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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Sixpack der ethischen Krisen der Marionettenkönige stundenlang berauscht; war fasziniert und zugleich abgestoßen von der sich abzeichnenden Persönlichkeit Mogols, des Baburiers, der sich als kompetenter Dichter, Astronomie-Experte, passionierter Gärtner, aber auch als Soldat Coriolanischen Blutdurstes und als grausamster aller Fürsten entpuppte; und war hingerissen von den Schattenspiel-Möglichkeiten (intellektuell, symbolisch, konfrontatorisch, mystifikatorisch, sogar sexuell) der beiden Double-Gruppen, den Begegnungen zwischen Real und Real , Real und Double , Double und Double , die munter die Auflösung der Grenzen zwischen den Kategorien demonstrierten. Er stellte fest, daß er in einer Welt lebte, die er der da draußen vor seinem Fenster bei weitem vorzog, und begann so allmählich zu verstehen, was Mila Milo gemeint hatte, als sie sagte, daß es dies sei, wo sie sich am lebendigsten fühlte. Hier, innerhalb der Elektrizität, kam Malik Solanka aus dem Halbleben seines Exils in Manhattan hervor, reiste täglich nach Galileo-I und begann wieder zu leben.
    Seit Braingirls zensierten Bemerkungen Galileo Galilei gegenüber hatten Solanka Fragen gequält, Fragen über Wissen und Macht, über Kapitulation und Widerstand, Mittel und Zweck. Die Galileo Moments , diese dramatischen Momente, da das Leben die Lebenden fragte, ob sie auch in Gefahr zur Wahrheit stehen oder sie vorsichtig widerrufen würden, schienen ihm immer deutlicher zu machen, was menschlich sein im Kern eigentlich hieß. Mann, ich hätte den Quatsch nicht einfach so hingenommen. Ich, ich hätte eine beschissene Revolution gemacht. Wenn jemand, der die Wahrheit kannte, schwach war und der Verteidiger der Lüge stark, war es dann besser, sich der größeren Macht zu beugen? Oder würde man, indem man sich energisch widersetzte, eine tiefere Kraft in sich selbst entdecken und den Despoten stürzen? Wenn die Soldaten der Wahrheit tausend Schiffe ausschickten und die stumpfen Türme der Lüge niederbrannten, sollten sie dann als Befreier angesehen werden, oder waren sie, indem sie die Waffen ihres Feindes gegen ihn richteten, selbst zu den verachteten Barbaren (oder sogar Baburiern) geworden, deren Häuser sie in Brand gesteckt hatten? Wo lagen die Grenzen der Toleranz? Wie weit konnten wir auf der Suche nach dem, was Recht war, gehen, bevor wir eine Grenze überschritten, zu unseren Antipoden kamen und Unrecht taten?
    Kurz vor der Klimax der Vorgeschichte von Galileo-I vertiefte sich Solanka in einen solchen entscheidenden Moment. Akasz Kronos, Flüchtling vor seinen eigenen Geschöpfen, wurde in hohem Alter von den Soldaten des Mogols gefangengenommen und in Ketten vor den baburischen Gerichtshof gestellt. Inzwischen hatten die Marionettenkönige und die Baburier seit vielen Generationen Krieg gegeneinander geführt und standen einander in einem Patt gegenüber, das so entnervend war wie der Trojanische Krieg, und der uralte Kronos, Schöpfer der Cyborgs, wurde für all ihre Taten verantwortlich gemacht. Seine Erklärungen, daß seine Geschöpfe für die Autonomie gekämpft hatten, wurden vom Mogol mit einem kurzen, verächtlichen Schnaufen abgetan. Es folgte nun auf den Seiten, die Solanka schrieb, ein langer Disput zwischen den beiden Männern über die Natur des Lebens selbst - Leben, erschaffen durch einen biologischen Akt, und Leben, entstanden durch die Phantasie und das Können der Lebenden. War das Leben natürlich , oder konnte man sagen, das Unnatürliche sei lebendig? War die Phantasiewelt der organischen immer unterlegen? Kronos war trotz seines Niedergangs und langen, in Armut verbrachten Lebens im Untergrund ein kreatives Genie und verteidigte voll Stolz seine Cyborgs: nach jeder Definition empfindender Existenz waren sie zu voll entwickelten Lebensformen herangewachsen. Wie Homo faber benutzten sie Werkzeuge; wie Homo sapiens argumentierten und engagierten sie sich in Moraldebatten. Sie konnten ihre Krankheiten behandeln und ihre Spezies fortpflanzen, und indem sie ihn, ihren Schöpfer, verjagten, hatten sie sich die Freiheit erkämpft. Der Mogol wies diese Argumente kurzerhand zurück. Ein schlechter Tellerwäscher werde nicht zum Oberkellner, erklärte er. Deswegen sei eine schurkische Marionette immer noch eine Puppe, ein Roboter-Renegat immer noch ein Roboter. Diese Richtung der Diskussion sei nicht angemessen. Vielmehr sei es an Kronos, seine Theorien zu widerrufen und anschließend die baburischen Behörden mit den

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