Wut
endete, niemals aufhörte, sich immer wieder erneuerte und in einem Zustand ständigen Umbruchs verharrte, war ein gewisser Grad an Unordnung unvermeidlich. Die Vorgeschichten der Personen und Orte und sogar ihre Namen veränderten sich, weil Solankas Vision von seinem fiktiven Universum klarer und schärfer wurde. Gewisse Möglichkeiten des Erzählstranges erwiesen sich als stärker, als er zunächst gedacht hatte, und wurden sehr stark erweitert. Der Zameen/Siegesgöttin-Strang war dabei der wichtigste. In der ursprünglichen Konzeption war Zameen lediglich schön gewesen und keineswegs eine Wissenschaftlerin. Als Solanka später jedoch - von Mila Milo angeregt, mußte er einräumen - begriff, wie wichtig Zameen in der klimaktischen Phase der Erzählung sein würde, machte er kehrt und ergänzte ihr frühes Leben durch viel neues Material, um sie Kronos wissenschaftlich gewachsen sowie sexuell und moralisch überlegen zu machen. Andere Wege entpuppten sich als Sackgassen und wurden ausgemerzt. In einem frühen Entwurf der Vorgeschichte stellte sich Solanka zum Beispiel vor, die vom Mogol gefangene Galileische Figur sei der Cyborg Puppenmacher, nicht der verschwundene Akasz Kronos. In dieser Version wurde die Tatsache, daß der Puppenmacher sein Recht leugnete, als Lebensform bezeichnet zu werden, ihm und seiner eigenen Rasse zum Verhängnis. Später entkam der Puppenmacher seinen baburischen Wärtern, und als sich die Nachrichten von seinem Widerruf durch die Propagandamaschine des Mogols verbreitete, um seine Führung zu unterminieren, widersprach der Cyborg heftig dieser Beschuldigung und verkündete, der in Frage stehende Gefangene sei nicht er gewesen, in Wirklichkeit sei sein menschlicher Gegenpart Kronos der Verräter an der Wahrheit. Obwohl er diese Version verwarf, hatte Solanka immer noch ein Faible für sie und fragte sich oft, ob er sich falsch entschieden habe. Schließlich fügte er, dank der Neigung des Webs zu Variablen, die ausgesonderte Story als eventuelle Alternativversion der Tatsachen der Site hinzu.
Auch die Namen Baburia und Mogol waren spätere Ergänzungen. Mogol kam natürlich von Mughal , und Babur war der erste der Mughal-Kaiser gewesen. Aber der Babur, an den Malik Solanka gedacht hatte, war kein alter toter König, sondern der designierte Führer der mißlungenen Indo-Lilly -Parade/Demonstration in New York, dem Neela Mahendra nach Solankas Meinung viel zuviel Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Die Parade hatte als armselige Veranstaltung begonnen und als Schlägerei geendet. An der Nordwestecke des Washington Square, unter den mäßig interessierten Blicken verschiedener Getränkeverkäufer, Zauberkünstler, Einradfahrer und Taschendiebe, versammelten sich ungefähr hundert Männer und eine Handvoll Frauen indisch-lilliputanischer Herkunft, deren Zahl durch amerikanische Freunde, Geliebte, Ehepartner, Mitglieder der üblichen Linksgrüppchen, sogenannte Solidaritätskader aus anderen indischen Diasporagemeinden in Brooklyn und Queens sowie die unvermeidlichen Demonstrationstouristen ergänzt wurde. Insgesamt über eintausend, behaupteten die Organisatoren; etwa zweihundertfünfzig, sagte die Polizei. Die Parallel-Demonstrationen der eingeborenen Elbees wiesen sogar noch weniger Getreue auf und gingen, ohne zu marschieren, tief beschämt auseinander. Doch kleine Gruppen aufgebrachter, ziemlich betrunkener männlicher Elbees hatten sich zum Washington Square durchgeschlagen, um die Indo-Lilly-Männer zu provozieren und den Frauen sexuelle Beleidigungen zuzurufen. Rangeleien bahnten sich an; die New Yorker Polizei, verwundert, daß ein so winziges Ereignis eine derartige Hitze entwickeln konnte, ging ein paar Minuten zu spät dazwischen. Als die Menge vor den anrückenden Polizisten floh, kam es zu ein paar schnellen Messerstechereien, von denen keine tödlich endete. Innerhalb weniger Sekunden war der Platz von Demonstranten geräumt - bis auf Neela Mahendra, Malik Solanka und einen glatzköpfigen Riesen, der, bis zur Taille nackt, mit einem Megaphon in der einen Hand dastand und in der anderen eine hölzerne Fahnenstange mit der neuen gelb-grünen Fahne der angestrebten Republik Filbistan hielt, wobei FILB für Free Indian Lilliput-Blefuscu stand und der Rest angefügt wurde, weil es wie ein Wort von zu Hause klang. Das war Babur, der junge politische Führer, der ganz von den fernen Inseln gekommen war, um vor der Versammlung zu sprechen, und der jetzt so verloren wirkte, ohne Haare und
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