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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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von Solanka könne nicht schaden. Obwohl er sehr behutsam war, versäumte Mr. Jay es nicht, darauf hinzuweisen, daß der Mietvertrag vorschrieb, die Wohnung sauberzuhalten. Solanka knirschte mit den Zähnen und rief an. »Okay, ich komme, warum nicht«, hatte Wislawa zugestimmt. »Sie können von Glück sagen, daß ich ein weiches Herz habe.« Ihre Arbeit war zwar noch weniger zufriedenstellend als zuvor, aber Solanka sagte kein Wort. In der Wohnung herrschten unausgeglichene Machtverhältnisse. Wie eine Königin kam Wislawa hereingerauscht - wie eine Siegesgöttin, die ihre Fäden durchschnitten hatte -, um nach ein paar Stunden, in denen sie wie eine Herrscherin auf Rundreise durch ihr Land durch das Duplex geschritten war und ihr Staubtuch wie ein königliches Taschentuch geschwenkt hatte, mit einem verächtlichen Ausdruck auf dem knochigen Gesicht wieder zu verschwinden. Die ehemaligen Diener sind jetzt die Herren, dachte Solanka. Wie auf Galileo-I, so in New York.
    Seine Phantasiewelt nahm ihn immer mehr in Anspruch. Er zeichnete wie wild, modellierte mit Töpfererde, schnitzte aus weichem Holz; vor allem aber schrieb er, und zwar ungestüm. Mila Milos Truppe hatte begonnen, ihn mit einer Art staunender Ehrerbietung zu behandeln: Wer hätte je gedacht, schien ihr Verhalten zu sagen, daß ein alter Trottel mit Sachen aufwarten konnte, die so hip waren? Selbst der langsame, grollende Eddie machte bei dieser neuen Einstellung mit. Solanka, der sogar von seiner eigenen Putzfrau verachtet wurde, zeigte sich durch den Respekt des jungen Mannes durchaus besänftigt und beschloß, sich dessen würdig zu erweisen. Neela gehörten seine Nächte, doch während des Tages arbeitete er sehr lange. Drei bis vier Stunden Schlaf erwiesen sich als ausreichend. Das Blut schien schneller durch seine Adern zu fließen. Dies, dachte er, verwundert über sein unverdientes Glück, ist die Erneuerung. Das Leben hatte ihm unversehens ein gutes Blatt ausgeteilt, und er würde das Beste daraus machen. Es war Zeit für eine lange, konzentrierte, vielleicht sogar heilsame Phase, die ausgefüllt war mit dem, was Mila als ernsthaftes Spielen bezeichnete.
    Die Vorgeschichte der Ereignisse auf Galileo-I hatte ein eigenes produktives Leben angenommen. Niemals zuvor hatte Solanka so sehr ins Detail gehen müssen und wollen. Die Fiktion hielt ihn im Griff, die Figuren selbst erschienen ihm allmählich zweitrangig: kein Zweck mehr, sondern nur noch Mittel. Er, der das Nahen der tapferen neuen elektronischen Welt mit so großen Zweifeln betrachtet hatte, wurde von den Möglichkeiten mitgerissen, welche die neue Technologie ihm bot - mit ihrer formalen Vorliebe für laterale Sprünge und ihrem relativen Desinteresse an linearer Progression, eine Neigung, die bei ihren Benutzern bereits ein größeres Interesse an Variationen als an Chronologie hervorgerufen hatte. Diese Befreiung von der Uhr, von der Tyrannei dessen, was als nächstes geschah, war begeisternd, weil sie ihm erlaubte, seine Ideen parallel zu entwickeln, ohne sich über Zeitabfolge oder Schritt-um-Schritt-Kausalität Gedanken zu machen. Die Links waren jetzt elektronisch, nicht mehr erzählerisch. Alles existierte auf einmal. Dies war, erkannte Solanka, ein exakter Spiegel der göttlichen Erfahrung der Zeit. Bis zum Kommen der Hyperlinks hatte nur Gott Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft simultan sehen können; die Menschen waren im Kalender ihrer Tage gefangen. Jetzt war eine solche Allwissenheit für alle zugänglich - durch einen einzigen Klick mit der Maus.
    Auf der Website, die allmählich entstand, würden Besucher frei zwischen den verschiedenen Erzählfäden und Themen des Projekts hin und her wandern können: Zameens Suche nach Akasz Kronos, Zameen gegen die Siegesgöttin, die Erzählung von den beiden Puppenmachern, Mogol der Baburier, die Revolte der Lebenden Puppen I: Der Fall des Kronos, die Revolte der Lebenden Puppen II (Diesmal ist Krieg), die Humanisierung der Maschinen gegen die Mechanisierung der Menschen, die Schlacht der Doubles, Mogol Fängt Kronos (oder Ist Es der Puppenmacher?), der Widerruf des Puppenmachers (oder War Es Kronos?), und das große Finale, die Revolte der Lebenden Puppen III: Der Fall des Mogol-Imperiums. Jede Wendung würde zu weiteren Seiten führen, tiefer in die multidimensionale Welt der Marionettenkönige eintauchen, Spiele anbieten, Video-Ausschnitte zeigen, Chatrooms öffnen und natürlich Kaufangebote machen.
    Professor Solanka war vom

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