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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Klempner, und als der U-Boot-Kapitän, wer? Klaus Maria Brandauer, Rutger Hauer. Aber vermutlich würden beide Rollen an jüngere Schauspieler vergeben, deren Namen Malik nicht kannte. Selbst das ließ mit den Jahren nach, das Filmwissen, auf das er immer so stolz gewesen war. »Sie sollten das aufschreiben und einreichen«, sagte er zu Schlink und sprach dabei ein bißchen zu laut. »Es ist, wie man so sagt, ein erstklassiges Konzept, eine Mischung aus U-571 und Schindlers Liste. Vielleicht eine doppeldeutige Komödie wie die von Benigni. Nein, härter als die von Benigni. Mit dem Titel Jewboat .« Schlink erstarrte; und bevor er seine volle, gekränkte Aufmerksamkeit der Toilette zuwandte, richtete er seinen traurigen, angewiderten Blick auf Solanka. »Keinen Humor«, sagte er. »Wie ich schon sagte. Ich muß leider feststellen, daß Sie ein sehr respektloser Mensch sind.«
    Und unten in der Küche war die polnische Putzfrau Wislawa eingetroffen. Sie gehörte zur Untermiete, weigerte sich, zu bügeln, ließ die Spinnweben unangetastet in den Ecken hängen, und wenn sie gegangen war, konnte man auf dem Kaminsims einen Strich durch den Staub ziehen.
    Auf der Habenseite war sie von angenehmem Wesen und besaß ein breites, Zahnfleisch entblößendes Lächeln. Gab man ihr jedoch nur die geringste Chance, aber auch wenn man das nicht tat, stürzte sie sich in eine Flut von Worten. In die gefährliche, durch nichts aufzuhaltende Macht des Erzählens. Wislawa, eine fromme Katholikin, hatte erleben müssen, daß ihr Glaube durch eine scheinbar wahre Geschichte zutiefst erschüttert wurde, die ihr Ehemann erzählt hatte, der sie von seinem Onkel hatte, der sie von einem vertrauenswürdigen Freund hatte, der den Betreffenden kannte, einen gewissen Ryszard, der viele Jahre lang persönlicher Chauffeur des Papstes gewesen war, natürlich bevor er auf den Heiligen Stuhl gewählt wurde. Als die Zeit für jene Wahl näher kam, fuhr Ryszard, der Chauffeur, den zukünftigen Papst durch ganz Europa, ein Europa, das an einem Wendepunkt seiner Geschichte stand, am Vorabend gewaltiger Veränderungen. Ach, die Kameradschaft der beiden Männer, die einfachen menschlichen Freuden und Leiden einer so langen Fahrt! Und dann, als sie den Vatikan erreichten, wurde der Geistliche mit seinen Kollegen eingesperrt, während der Fahrer wartete. Endlich stieg der weiße Rauch auf, der Ruf habemus papam erklang, und dann kam ein Kardinal, ganz in Rot, eine riesige, breite Freitreppe aus gelben Steinen herab, langsam, steif, wie ein Darsteller in einem Fellinifilm, und unten an der Treppe wartete der kleine, stinkende Wagen mit seinem aufgeregten Fahrer. Der Kardinal wischte sich die Stirn und trat keuchend ans Fahrerfenster, das Ryszard in Erwartung der Nachricht heruntergekurbelt hatte. Und so konnte der Kardinal die persönliche Botschaft des neuen, des polnischen Papstes überbringen: »Sie sind gefeuert.«
    Solanka, kein Katholik, kein Gläubiger und an dieser Geschichte nicht sehr interessiert, auch wenn sie tatsächlich wahr sein sollte, aber nicht im entferntesten davon überzeugt, daß sie wahr war, außerdem keineswegs darauf aus, beim Kampf der Putzfrau mit dem kleinen Teufel des Zweifels, der gegenwärtig ihre unsterbliche Seele im Schwitzkasten hielt, den Schiedsrichter zu spielen, hätte es vorgezogen, überhaupt nicht mit Wislawa zu sprechen, hätte sich gewünscht, sie möge sich lautlos in der Wohnung bewegen, um sie makellos und bewohnbar, mit gewaschener, gebügelter und gefalteter Wäsche zu hinterlassen. Doch trotz der Kosten von über achttausend Dollar im Monat für die Miete, Putzfrau inklusive, hatte das Schicksal ihm recht miserable Karten zugeteilt. Zum Thema von Wislawas gefährdeter Reservierung im Himmel wollte er sich allen Ernstes keinen Kommentar erlauben; aber sie kam immer wieder darauf zurück. »Wie soll man den Ring eines solchen Heiligen Vaters küssen, dabei ist er aus meiner Heimat, aber o Gott, einen Kardinal zu schicken und einfach so, ganz obenhin, die Kündigung auszusprechen! Und wenn nicht der Heilige Vater, was ist dann mit seinen Priestern, und wenn nicht mit seinen Priestern, was dann mit Beichte und Absolution, und hier tun sich unter meinen Füßen die Tore der Hölle auf!«
    Professor Solanka, dessen Zündschnur immer kürzer wurde, geriet täglich mehr in die Versuchung, etwas Unfreundliches zu sagen. Das Paradies, hätte er Wislawa gern gesagt, sei ein Ort, dessen Geheimnummer nur die Coolsten und

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