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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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geräuschvollen, überbelegten Bett Platz für noch eine weitere Frau zu schaffen. Minnie Mouth war vielleicht ein gar nicht so unpassendes Symbol für die Gegend, in der Rhinehart wohnte. Nach ein paar Jahren in dieser Konstellation und einem Umzug vom Holland Park ins West Village zog Bronislawa - wie kam es nur, daß so viele Pole(n) in so verschiedenen Positionen auftauchten? - aus der Wohnung in der Hudson Street aus und zwang Rhinehart mit Hilfe des Gerichts, sie in ganz großem Stil in der Junior-Suite eines eleganten Hotels der Upper East Side unterzubringen, mit uneingeschränkter Kreditkartenbenutzung. Statt sich von ihm scheiden zu lassen, erklärte sie ihm zuckersüß, beabsichtige sie, ihm den Rest seines Lebens zur Hölle zu machen und ihn ganz langsam ausbluten zu lassen. »Und sieh zu, daß dir nicht das Geld ausgeht, Schätzchen«, warnte sie ihn. »Denn sonst werde ich mir das von dir holen, was dir wirklich lieb und teuer ist.«
    Was Rhinehart wirklich lieb und teuer war, das waren Essen und Trinken. Er besaß ein kleines Ferienhäuschen in den Springs mit einem Schuppen hinten im Garten, in dem er sich ein Weinlager eingerichtet und das er für weit mehr Geld versichert hatte als sein Cottage, in dem das wertvollste Objekt ein Viking-Herd mit sechs Kochplatten war. Heutzutage war Rhinehart ein turbogetriebener Gastronom mit einer Gefriertruhe voll Karkassen von toten Vögeln, die ihre Reduktion - ihre Erhebung! - zum jus erwarteten. In seinem Kühlschrank drängten sich die Köstlichkeiten dieser Erde: Lerchenzungen, Emu-Hoden, Dinosauriereier. Aber als Solanka auf der Hochzeit seines Freundes Rhineharts Mutter und Schwester gegenüber von den exquisiten Freuden des Dinierens an Jacks Tafel schwärmte, erntete er verständnislose und verblüffte Blicke. »Jack - und kochen? Dieser Jack?« fragte seine Mutter und zeigte ungläubig auf ihren Sohn. »Der Jack, den ich kenne, könnte nicht mal ’ne Dose Bohnen aufmachen, wenn ich ihm zeige, wie man den Dosenöffner hält.« »Der Jack, den ich kenne«, setzte seine Schwester hinzu, »könnte nicht mal ’n Topf Wasser kochen, ohne es anbrennen zu lassen.« »Der Jack, den ich kenne«, beendete seine Mutter das Gespräch endgültig, »könnte nicht mal die Küche finden, ohne daß ihn ein Blindenhund hinführt.«
    Dieser selbe Jack konnte sich inzwischen mit den großen Köchen der Welt messen, und Solanka staunte wieder einmal über die Fähigkeit des Menschen zur Automorphose, der Verwandlung der eigenen Person, von der die Amerikaner behaupteten, sie sei ihre ganz eigene, bezeichnende Eigenschaft. War sie nicht. Amerikaner klebten allem und jedem ihr amerikanisches Etikett auf: American Dream, American Buffalo, American Graffiti, American Psycho, American Tune. Aber alle anderen hatten auch solche Dinge, und in der übrigen Welt schien das Hinzufügen eines nationalen Präfixes keine so große Bedeutung zu besitzen. English Psycho, Indian Graffiti, Australian Buffalo, Egyptian Dream, Chilean Tune. Amerikas Sucht, alles amerikanisch zu machen, es in Besitz zu nehmen, dachte Solanka, ist das Zeichen einer seltsamen Unsicherheit. Darüber hinaus natürlich, und prosaischer ausgedrückt, kapitalistisch.
    Bronislawas Drohung gegen Rhineharts Alko-Hort traf ins Schwarze. Er gab es auf, Kriegsgebiete zu besuchen, und begann statt dessen lukrative Porträts der Supermächtigen, Superberühmten und Superreichen für exklusive Wochen- und Monatszeitschriften zu schreiben: ihr Liebesieben zu schildern, ihre Geschäfte, ihre wilden Kinder, ihre persönlichen Tragödien, ihre geschwätzigen Hausmädchen, ihre Morde, ihre OPs, ihre guten Werke, ihre bösen Geheimnisse, ihre Spiele, ihre Fehden, ihre Sexpraktiken, ihre Gemeinheit, ihre Großzügigkeit, ihre Pferdepfleger, ihre Treiber, ihre Autos. Dann hörte er auf, Lyrik zu schreiben, und versuchte sich statt dessen an Romanen, die in derselben Welt spielten, der irrealen Welt, von der die reale beherrscht wurde. Häufig verglich er sein Thema mit dem des Römers Suetonius. »Dies ist das Leben der heutigen Cäsaren in ihren Palästen«, erklärte er Malik Solanka und jedem, der bereit war, ihm zuzuhören. »Sie schlafen mit ihren Schwestern, ermorden ihre Mütter, machen ihre Pferde zu Senatoren. In den Palästen herrscht das Chaos. Und weißt du was? Wenn du draußen bist, wenn du zum Mob auf der Straße gehörst, das heißt, wenn du bist wie wir, siehst du nur, daß die Paläste Paläste sind, daß all das

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