Wut
Stärke, die dem Problem unangemessene Proportionen angenommen hatte, und so schilderte er Mr. Simon Jay seine Gefühle mit nachdrücklicher Vehemenz, Mr. Jay, dem sanften, verwirrten Eigentümer der Wohnung, der dreißig Jahre lang glücklich mit seiner Frau Ada in dieser Wohnung gelebt, seine Kinder in diesen Räumen großgezogen, sie an diese selben Wasserklosetts gewöhnt und jeden einzelnen Tag seines Aufenthalts hier als schlichtes, ungetrübtes Vergnügen empfunden hatte. Solanka interessierte das nicht. Eine zweite Spülung hätte das Problem natürlich gelöst, aber das war nicht akzeptabel. Ein Klempner mußte her, und zwar bald.
Aber der Klempner war, genau wie die Punjabi-Bauarbeiter, sehr redefreudig, ein Achtzigjähriger namens Joseph Schlink. Hoch aufgerichtet, drahtig, mit weißen Haaren wie Albert Einstein und Vorderzähnen wie Bugs Bunny, kam Joseph zur Tür herein, getrieben von einer Art defensiven Stolzes, um seine Verteidigung vorneweg anzubringen. »Sagen Sie nichts, ja? Ich bin zu alt, werden Sie denken, oder vielleicht auch nicht, ich will nicht behaupten, daß ich Gedanken lesen kann, aber einen besseren Klempner werden Sie weit und breit nicht finden, außerdem bin ich fit wie ’n Turnschuh oder ich will kein Schlink sein.« Das alles in dem starken, niemals auszumerzenden Akzent verpflanzter deutscher Juden. »Sie amüsieren sich über meinen Namen? Lachen Sie doch! Der Tschentlemän, Mr. Simon, nennt mich Küchen-Schlink, für seine Mrs. Ada bin ich auch noch der Toiletten-Schlink, sollen sie mich doch den Bismarck-Schlink nennen, das macht mir nichts, wir leben in einem freien Land, aber in meinem Beruf kann ich mit Humor nichts anfangen. Auf Latein ist humor eine Feuchtigkeit, die aus dem Auge kommt. Das nur, um Heinrich Böll zu zitieren, Nobelpreis neunzehnhundert-zwoundsiebzig. Keine feuchten Augen bei mir, ja? Und keine Witze in meinem Werkzeugkasten. Ich will nur meine Arbeit prompt erledigen und meine Bezahlung ebenso prompt einstecken, wenn Sie mir folgen können. Wie der shwartze im Kino sagt, zeig mir die Pinke. Nach einem Krieg, in dem ich Lecks an den Nazi-U-Booten abgedichtet habe, glauben Sie da, ich könnte Ihren kleinen Lokus hier nicht flicken?«
Ein gebildeter Klempner, der eine Geschichte zu erzählen hat, erkannte Solanka resignierend. (Er verbiß sich das verführerische Schlinkern .) Und das, während er fast zu müde war, um sich aufrecht zu halten. Die Stadt erteilte ihm eine Lektion. Es gab kein Entrinnen vor den Störungen, vor dem Lärm. Er hatte den Ozean überquert, um sein Leben vom Leben zu trennen. Er war auf der Suche nach Stille gekommen und fand eine Lautstärke, die größer war als jene, die er zurückgelassen hatte. Der Lärm war jetzt sogar in ihm. Er fürchtete sich, den Raum zu betreten, in dem die Puppen waren. Vielleicht würden auch sie anfangen, auf ihn einzureden. Vielleicht würden sie zum Leben erwachen und plappern und tratschen und kichern, bis er sie ein für allemal zum Schweigen gebracht hatte, bis er sich durch die Omnipräsenz des Lebens, durch dessen sture Weigerung, sich zurückzuziehen, durch die schiere, gottverdammt unerträgliche, ohrenbetäubende Lautstärke des dritten Jahrtausends gezwungen sah, ihnen die beschissenen Köpfe abzureißen.
Tief durchatmen. Er machte eine kreisförmige Atemübung. Nun gut. Er würde die Geschwätzigkeit des Klempners als Buße hinnehmen. Sie über sich ergehen zu lassen, als eine Übung in Demut und Selbstbeherrschung. Dies war ein jüdischer Klempner, der den Todeslagern entkommen war, indem er unter Wasser ging. Seine Fähigkeiten als Klempner bedeuteten, daß die Besatzung ihn beschützt hatte, daß sie bis zum Tag der Kapitulation an ihm festgehalten hatte, bis er befreit wurde, nach Amerika kam und seine Geister hinter sich ließ oder, um es anders auszudrücken, sie mitbrachte.
Schlink hatte die Geschichte schon tausendmal erzählt, abertausendmal. Und so kam sie in einstudierten Sätzen und Kadenzen heraus. »Sie können sich das nicht vorstellen. Ein Klempner in einem U-Boot ist an sich schon ein bißchen komisch, aber darüber hinaus ist da die Ironie, die psychologische Komplexität. Das muß ich Ihnen ja nicht erklären. Aber ich stehe vor Ihnen. Ich habe gelebt mein Leben. Ich habe gehalten, ja?, mein Versprechen.« Ein Leben wie ein Roman, das mußte Solanka zugeben. Und wie ein Film. Ein Leben, das als mittelteurer Spielfilm Erfolg haben konnte. Dustin Hoffman vielleicht als
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