Wut
langen, vielsilbigen Zungenbrecher von südindischem Namen zu sprechen: BalasubramanyamVenkataraghavan. »Na los, Junge, schneller!« drängte er Malik, als seine Kinderzunge über die Silben stolperte. »Hättest du nicht auch gern einen so prachtvollen Namen wie ich?«
Malik Solanka lebte in einer Wohnung im ersten Stock eines Gebäudes namens Noor Ville im Methwold’s Estate an der Warden Road. Die Venkats lebten in der anderen Wohnung in diesem Stock und schienen eine glückliche Familie zu sein: ja sogar eine, die Malik an jedem Tag seines Lebens beneidete. Jetzt standen beide Wohnungstüren offen, und die Kinder drängten sich mit großen, ernsten Augen um schmerzlich betroffene Erwachsene, als Mr. Venkat sich endgültig von seinem alten Leben verabschiedete. Aus den Tiefen der Venkat-Wohnung kamen die Töne einer zerkratzten Achtundsiebziger: ein Lied der Ink Spots, Mr. Venkats Lieblingsgruppe. Der Anblick von Mrs. Venkat, die sich an der Schulter seiner Mutter die Augen ausweinte, traf den kleinen Malik Solanka schwer. Als der Bankier sich zum Gehen wandte, rief Malik ihm auf einmal nach: »Balasubramanyam Venkataraghavan!« Um es dann immer schneller und lauter zu sagen, bis er zugleich plapperte und schrie:
»Balasubramanyamvenkataraghavanbalasubramanyamvenkataraghavanbalasubramanyamvenkataraghavan
BALASUBRAMANYAMVENKATARAGHAVAN!«
Der Bankier hielt würdevoll inne. Er war ein kleiner, knochiger Mann, mit freundlichem Gesicht und hellen Augen. »Das hast du sehr gut gesagt, und das Tempo war auch sehr eindrucksvoll«, bemerkte er. »Und weil du es fünfmal fehlerfrei wiederholt hast, werde ich dir fünf Fragen beantworten, falls du sie mir stellen möchtest.«
Wohin gehen Sie? »Ich mache mich auf die Suche nach Wissen und, wenn möglich, nach Frieden.« Warum tragen Sie nicht Ihren Arbeitsanzug? »Weil ich meine Arbeit aufgegeben habe.« Warum weint Mrs. Venkat? »Diese Frage mußt du ihr stellen.« Wann werden Sie wiederkommen? »Dieser Schritt, Malik, ist endgültig.« Was wird aus Chandra? »Er wird es eines Tages verstehen.« Mögen Sie uns nicht mehr? »Das ist die sechste Frage. Eine zuviel. Sei jetzt brav. Und sei deinem Freund ein guter Freund.« Wie Malik sich erinnerte, versuchte seine Mutter ihm, nachdem Mr. Venkat den Hügel hinab davongewandert war, die Philosophie der sanyasi zu erklären, die Entscheidung eines Mannes, seinen ganzen Besitz und seine weltlichen Bindungen aufzugeben, sich vom Leben zu trennen, um der Gottheit näher zu sein, bevor es Zeit zum Sterben wurde. Mr. Venkat hatte seine Angelegenheiten wohlgeordnet zurückgelassen. Das meiste von dem, was ihm erklärt wurde, verstand Malik nicht, aber er hatte größtes Verständnis für das, was Chandra meinte, als er später am selben Tag die alten Ink-Spot-Platten seines Vaters zerbrach und schrie: »Ich hasse das Wissen! Und den Frieden hasse ich auch. Ich hasse den Frieden wirklich sehr! «
Wenn ein Mann ohne Glauben die Wahl eines Gläubigen nachahmte, war das Ergebnis höchstwahrscheinlich vulgär und dumm. Professor Malik Solanka legte kein Lendentuch an und nahm keine Bettelschale. Er überließ sich nicht dem Zufall der Straße und der Wohltätigkeit von Fremden, sondern flog in der Business Class zum JFK, stieg vorübergehend im Lowell ab, rief einen Immobilienmakler an und hatte sofort Glück: Er fand diese geräumige, möblierte Untermietwohnung auf der West Side. Statt nach Manaus, Alice Springs oder Wladiwostok zu gehen, war er in einer Stadt gelandet, in der er nicht gänzlich unbekannt und die ihm nicht gänzlich unbekannt war, deren Sprache er beherrschte, in der er sich zurechtfand und bis zu einem gewissen Grad die Bräuche der Eingeborenen verstand. Er hatte gehandelt, ohne nachzudenken, saß angeschnallt in seinem Flugzeugsitz, bevor er sich gestattete nachzudenken; dann hatte er einfach die alles andere als perfekte Wahl seiner Reflexe akzeptiert und war dem wenig aussichtsreichen Weg gefolgt, auf den ihn seine Füße trugen, ohne von ihm gelenkt zu sein. Ein sanyasi in New York, ein sanyasi mit Duplexwohnung und Kreditkarte war ein Widerspruch in sich. Nun gut. Er würde dieser Widerspruch sein und trotz seines oxymoronischen Wesens sein Ziel verfolgen. Auch er war auf der Suche nach einem Quietus, nach Frieden. Also mußte sein altes Ego irgendwie storniert, endgültig gelöscht werden. Es durfte nicht wie ein Gespenst aus dem Grab emporsteigen, um ihn irgendwann in der Zukunft wieder zu beanspruchen
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