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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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mißbraucht worden. Es hatte sich kein Motiv für die Morde ergeben, doch alle drei Boyfriends erwähnten die Möglichkeit eines heimlichen Verfolgers. In den Tagen vor ihrem Tod hatten alle toten Mädchen von einem Fremden mit Panamahut gesprochen, der so komisch rumgeschlichen sei. »Es ist, als wäre Sky hingerichtet worden«, erklärte ein bedrückter, zigarrenrauchender Brad Marsalis der Presse bei einem Foto- sowie Frage-und-Antwort-Termin in einer Hotelsuite in Vineyard Haven. »Es ist, als hätte jemand sie zum Tode verurteilt und das Urteil, na ja, kaltblütig vollstreckt.«
     

7
    Die Nachricht von Solankas und Eleanors Trennung hatte Schockwellen in ihrem Bekanntenkreis ausgelöst. Jede Ehe, die zerbricht, stellt jene in Frage, die weiterhin halten. Malik Solanka war sich bewußt, daß er überall in der Stadt eine Kettenreaktion von ausgesprochenen und unausgesprochenen Fragen am Frühstückstisch und in den Schlafzimmern und wohl auch in anderen Städten in Gang gesetzt hatte. Läuft es bei uns noch immer gut? Okay, wie gut? Gibt es Dinge, über die du nicht mit mir sprichst? Werde ich eines Tages aufwachen, und du sagst etwas, an dem ich erkenne, daß ich das Bett mit einem Fremden geteilt habe? Wie wird das Morgen das Gestern umschreiben, wie wird die nächste Woche die letzten fünf, zehn, fünfzehn Jahre ungeschehen machen? Langweilst du dich? Ist das meine Schuld? Bist du schwächer, als ich gedacht hatte? Ist er es? Ist sie es? Ist es der Sex? Sind es die Kinder? Möchtest du’s kitten? Gibt es was zu kitten? Liebst du mich? Liebst du mich noch? Liebe ich dich noch, o mein Gott, o Himmel?
    Diese Qualen, für die ihn seine Freunde unweigerlich bis zu einem gewissen Grade verantwortlich machten, kehrten wie Echos zu ihm zurück. Trotz seines ausdrücklichen Verbots gab Eleanor seine Telefonnummer in Manhattan an jeden weiter, der sie haben wollte. Männer schienen mehr als Frauen dazu zu neigen, ihn anzurufen, um ihm Vorwürfe zu machen. Morgen Franz, der Post-Hippie-Buddhist und Verleger, dessen Telefon Eleanor vor so vielen Jahren betreut hatte, war der erste. Morgen war Kalifornier und hatte vor dieser Tatsache in Bloomsbury Zuflucht gesucht, doch niemals seine träge Haight-Ashbury-Redeweise abgelegt. »Ich bin gar nicht glücklich darüber, Mann«, hatte er Malik per Telefon gestanden, und seine Vokale waren noch langgezogener als sonst, um seinen Kummer zu unterstreichen. »Und außerdem kenne ich keinen, der das wäre. Ich weiß nicht, warum du das getan hast, Mann, aber weil du ja weder dumm noch scheiße bist, ist mir klar, daß du deine Gründe hast, ganz sicher, weißt du? Und das werden gute Gründe sein, Mann, ganz ohne Zweifel, ich meine, was soll ich dir sagen, ich liebe dich, weißt du? Ich liebe euch beide, doch im Moment muß ich gestehen, daß ich ’ne ziemliche Wut auf dich hab.« Solanka konnte sich das gerötete Gesicht seines Freundes mit dem kurz gestutzten Bart, den kleinen, tiefliegenden Augen vorstellen, mit denen er, um seine Worte zu unterstreichen, heftig zwinkerte. Franz war bekannt dafür, daß er zurückhaltend war - »so cool wie das Leichenschauhaus«, lautete seine Maxime -, deswegen wirkte diese Klimax wie ein Schlag. Solanka dagegen blieb ungerührt und ließ sich herbei, die eigenen Gefühle ehrlich und unwiderruflich darzulegen.
    »Vor sechs, sieben, acht Jahren«, sagte er, »rief Lin Eleanor oft unter Tränen an, weil du dich weigertest, mit ihr ein Kind zu machen, und weißt du was? Du hattest deine Gründe, du warst zutiefst enttäuscht von der menschlichen Rasse, mit der du tagtäglich zu tun hattest, und hast im Hinblick auf Kinder wie auch auf Philadelphia die Fields-Position eingenommen. Und, Morgen, ich habe mich damals selbst sehr über dich geärgert. Ich habe zugesehen, wie Lin sich statt um Babies um Katzen gekümmert hat, und das hat mir nicht gefallen, und rate mal? Ich habe dich nie angerufen, um dich zu beschimpfen oder zu fragen, was die relevante Buddhistenlehre über dieses Thema sagt, weil ich entschieden habe, daß es mich, verdammt noch mal, nichts angeht, was zwischen dir und deiner Frau passiert. Daß es deine Privatangelegenheit ist, solange du sie nicht schlägst oder solange es nur ihr Mutwillen ist, den du brichst, und nicht ihr Körper. Also tu mir den Gefallen und verpiß dich. Das hier ist nicht deine Story. Sondern meine.« Und so ging sie dahin, die alte Freundschaft, acht, oder waren es neun Weihnachtsfeiertage jeweils im

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