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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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besessen war, ihrem tatsächlich existierenden Ehemann vorzog, sie, seine Frau, seine Betrügerin, seine einzige große Widersacherin. Die dritte Flasche fiel, halb geleert, auf dem Küchentisch um, den sie so liebevoll für das diner à deux gedeckt hatte, mit dem alten Spitzentafeltuch ihrer Mutter, dem besten Besteck und zwei langstieligen Rotweinpokalen aus Böhmerglas, und als sich die rote Flüssigkeit über die alte Spitze ergoß, fiel ihm ein, daß er das verdammte Lamm vergessen hatte, und als er die Tür des Aga-Herdes öffnete, quoll Rauch heraus und löste den Rauchmelder an der Decke aus, und das Schrillen des Alarms war das Gelächter der Dämonen, und um es zu stoppen, zu STOPPEN, mußte er die Trittleiter holen und auf unsicheren, weindunklen Beinen hinaufklettern, um die Batterie aus dem verdammten, idiotischen Ding zu holen, okay, okay, aber selbst als er das geschafft hatte, ohne sich den gottverdammten Hals zu brechen, fuhren die Dämonen fort, ihr kreischendes Gelächter zu lachen, und die Küche war immer noch voll Qualm, verdammt noch mal, konnte sie nicht einmal etwas richtig machen, und wie konnte er dieses Kreischen in seinem Kopf abstellen, dieses Kreischen wie ein Messer, wie ein Messer in seinem Hirn in seinem Ohr in seinem Auge in seinem Magen in seinem Herzen in seiner Seele, konnte das Miststück nicht mal das Fleisch rausnehmen und es da drüben hinlegen, auf das Holzbrett neben den Wetzstahl, die lange Gabel und das Messer, das Tranchiermesser, das Messer.
    Es war ein großes Haus, so daß der Rauchalarm weder Eleanor noch Asmaan geweckt hatte, der bereits in ihrem Bett lag, in Maliks Bett. Wozu war dieser dämliche Rauchmelder eigentlich zu gebrauchen, he? Und er stand im Dunkeln vor ihnen, und in seiner Hand lag das Tranchiermesser, und es gab kein Alarmsystem, um sie vor ihm zu warnen. Eleanor lag mit leicht geöffnetem Mund auf dem Rücken, in ihrer Nase gurgelte ein leichtes Schnarchen, Asmaan lag auf der Seite, fest an sie geschmiegt, und schlief den reinen, tiefen Schlaf der Unschuld und des Vertrauens. Im Schlaf murmelte Asmaan Unverständliches vor sich hin, und der Klang seiner leisen Stimme durchbrach das Kreischen der Dämonen und brachte seinen Vater wieder zu Verstand. Vor ihm lag sein einziges Kind, das einzige Lebewesen unter seinem Dach, das immer noch wußte, daß die Welt ein Ort der Wunder, daß das Leben süß und der jetzige Moment alles war, während die Zukunft endlos zu sein schien und man nicht über sie nachzudenken brauchte, daß die Vergangenheit hingegen nutzlos und zum Glück auf ewig vorüber war, und daß er, ein Kind, in den weichen Zaubermantel der Kinderzeit gehüllt, unaussprechlich innig geliebt wurde und in Sicherheit war. Malik Solanka geriet in Panik. Wieso stand er hier, vor diesen beiden Schlafenden, mit einem Messer in der Hand, er war kein Mensch, der so etwas tun würde, über derartige Menschen las man tagtäglich in der Boulevardpresse, primitive Männer und verschlagene Frauen, die ihre Babies abschlachteten und ihre Großmütter aßen, eiskalte Serienmörder, gequälte Pädophile, schamlose Sexualtäter, böse Stiefväter, stumpfe, gewalttätige Neandertal-Affen und sämtliche ungebildeten, unzivilisierten Brutalos der Welt, und das waren ganz und gar andere Menschen, von denen wohnte keiner in diesem Haus, also konnte auch er, Professor Malik Solanka, ehemals King’s College an der University of Cambridge, er vor allem nicht volltrunken hier stehen und ein gefährliches Mordinstrument in der Hand halten. Q. E. D. Und außerdem war ich noch nie gut im Tranchieren, Eleanor. Das mußtest immer du übernehmen.
    Die Puppe, dachte er in aufstoßendem, alkoholisiertem Schrecken. Aber natürlich! Diese teuflische Puppe trug die Schuld daran. Er hatte alle Inkarnationen dieser Teufelin aus dem Haus geschafft - bis auf eine. Das war sein Fehler. Sie hatte sich aus ihrem Schrank und durch seine Nase hinausgeschlichen, ihm das Tranchiermesser in die Hand gedrückt und losgeschickt, um ihr blutiges Werk zu vollenden. Aber er wußte, wo sie sich versteckte. Vor ihm konnte sie sich nicht verstecken. Professor Solanka machte kehrt und verließ, das Messer in der Hand, vor sich hin murmelnd, das Schlafzimmer, und falls Eleanor die Augen aufgeschlagen hatte, nachdem er fort war, so wußte er später nichts mehr davon; falls sie seinen Rücken sah, während er hinausging, und falls sie alles mitbekommen hatte und ihn verurteilte, war es an ihr, davon

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