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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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starkem Alkohol stinken. Er würde an seiner Werkbank erwachen, mit seinem Handwerkszeug in den Händen. Neue Figurinen würden ihn mit wachen, glänzenden Augen beobachten. Eine neue Welt entstand in ihm, und für den göttlichen Odem hatte er Mila zu danken: dem Lebenshauch.
    Freude und Erleichterung durchflossen ihn in langem, unkontrollierbarem Erschauern. Wie jener andere Schauer am Ende von Milas letztem Besuch, als das Kissen von seinem Schoß genommen wurde. Aber noch ein anderes, wachsendes Problem dämpfte die Inspiration in ihm. Er hatte begonnen, Mila gegenüber gewisse Ängste zu entwickeln, eine starke, gefährliche Selbstsucht in ihr zu vermuten, eine allumfassende Ambition, die bewirkte, daß sie andere, ihn selbst eingeschlossen, lediglich als Stufen ihrer eigenen Leiter zu den Sternen zu sehen schien. Brauchen diese brillanten Jungen sie denn wirklich? fragte Solanka sich allmählich. (Und war dicht an der daraus folgenden Frage: Brauche ich sie?) Er hatte eine eventuelle neue Inkarnation seiner lebenden Puppe im Kopf gehabt - bei der Mila Circe war, und ihr zu Füßen hockten ihre grunzenden Schweine nun aber schob er diese finstere Vision beiseite; genauso wie ihr sogar noch grimmigeres Pendant, die Vision von Mila als Furie, als Tisiphone, Alecto oder Megaera, in einem Kostüm aus üppigem Fleisch auf die Erde herabgestiegen. Mila war aus gutem Grunde hier. Sie hatte den Impuls geliefert, der ihn an die Arbeit zurückschickte. Auf den Deckel eines ledergebundenen Notizbuchs schrieb er die Worte Die erstaunlichen, schnurlosen Marionetten-Könige des Professors Kronos . Dann setzte er hinzu: Oder die Revolte der Lebenden Puppen . Und dann Oder das Leben der Marionetten-Cäsaren . Schließlich strich er alles bis auf die Wörter Marionetten-Könige aus, schlug das Notizbuch auf und begann hastig die Vorgeschichte des wahnsinnigen Genies aufzuschreiben, das sein Antiheld sein sollte.
    Akasz Kronos, der große, zynische Kybernetiker des Rijk, begann er, erschuf die Marionettenkönige als Reaktion auf die letzte Krise der Rijk-Zivilisation; doch wegen eines schweren und unheilbaren charakterlichen Makels, der ihn unfähig machte, das Wohl der Allgemeinheit im Auge zu behalten, benutzte er sie, um ausschließlich sein eigenes Überleben und sein eigenes Vermögen zu gewährleisten.
     
    Am folgenden Nachmittag rief Jack Rhinehart an und klang beunruhigt. »Was is’ los, Malik. Lebst du immer noch wie ’n Guru in der Eishöhle? Oder ein Rausgeschmissener bei Big Brother Is Not Watching You? Oder erreichen dich doch noch von Zeit zu Zeit Nachrichten von der Außenwelt? - Hast du den von dem Buddhistenmönch in der Bar gehört? Der geht zu dem Tom-Cruise-Klon mit dem Cocktail-Shaker und sagt: Mach mir einen mit allem.  Hör zu: Kennst du ’ne Braut mit Namen Lear? Behauptet, deine Ehefrau gewesen zu sein. Ich finde, kein Mensch hat so viel Pech verdient, mit diesem Schätzchen verheiratet gewesen zu sein. Sieht aus, als wär’ sie hundertundzehn und ist so bissig wie ’ne Schlange. Ach ja, und was das Thema Ehefrau betrifft. Ich bin geschieden. Ging schließlich ganz einfach. Ich hab ihr alles gegeben.«
    Und alles war, wie er erläuterte, tatsächlich alles: das Cottage in The Springs, der berühmte Weinschuppen sowie mehrere hunderttausend Dollar. »Und das findest du richtig?« fragte Solanka verwundert. »Ja, ja«, ratterte Rhinehart. »Du hättest Bronnie sehen sollen. Kinnlade bis zum Boden abgesackt. Hat so schnell zugegriffen, daß ich dachte, sie hebt sich ’n Bruch. Und ob du’s glaubst oder nicht, sie ist weg! Auf und davon. Neela, Mann, ist jetzt alles, was zählt. Ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll, aber sie hat alles in mir beruhigt. Sie hat alles in Ordnung gebracht.« Seine Stimme wurde kindlich-verschwörerisch. »Hast du schon mal gesehen, daß jemand wirklich den ganzen Verkehr aufgehalten hat? Ich meine, hundertprozentig die Bewegung aller Automobile angehalten hat, nur indem er einfach da ist? Das kann sie. Sie steigt aus dem Taxi, und fünf Wagen sowie zwei Feuerwehrautos bleiben mit kreischenden Bremsen stehen. Auch gegen Laternenpfähle rennen sie. Ich hätte niemals geglaubt, daß so was vorkommt, außer in den Slapstick-Komödien von Mack Sennett. Jetzt kann ich’s jeden Tag bei normalen Männern beobachten. Manchmal auch in Restaurants«, sagte Rhinehart vertraulich und gluckste vergnügt. »Ich bitte sie, zur Damentoilette zu gehen und wieder zurückzukommen, nur

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