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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Professor Solanka vermochte sich nie ganz an diese Sticheleien zu gewöhnen, war häufig zutiefst von ihnen verletzt, gab immer vor, sie komisch zu finden, fand sie aber kein einziges Mal zum Lachen. Seltsamerweise war dies ein Zug, den er mit seinem Voltaireschen Gegner gemeinsam hatte, der den einschüchternden Namen Krysztof Waterford-Wajda trug, aber gemeinhin als Dubdub bekannt war und mit dem ihn tatsächlich eine überaus seltsame Freundschaft verband. Waterford-Wajda hatte sich, genau wie Solanka, unter dem Druck der unnachsichtigen Kollegen dem erwarteten Gesprächsstil angepaßt, fühlte sich aber ebenfalls höchst unbehaglich dabei. Das wußte Solanka, und deswegen nahm er ihm das  erfreulicherweise fremd nicht übel. Das Gelächter der Zuhörer aber vergaß er nie.
    Dubdub war heiter, ein Old Etonian, wohlhabend, halb Wonne aller Hurlingham-Club-Debütantinnen, halb polnischer Finsterling, Sohn eines Selfmademan, eines untersetzten, eingewanderten Glasers, der aussah, redete und trank wie ein Straßenrowdy, sein Vermögen mit Doppelfenstern verdient und zum Entsetzen der Country-House-Clique eine erstaunlich gute Partie gemacht hatte (»Sophie Waterford hat einen Polen geheiratet!«). Dubdub verfügte über das glatthaarige, attraktive Äußere von Rupert Brooke, gemindert durch hohle Wangen, einen Schrank voll grell gemusterter Tweed-Jacketts, ein Schlagzeug, einen schnellen Wagen und keine Freundin. Auf einem Freshman-Ball im ersten Semester schlugen in den sechziger Jahren emanzipierte junge Frauen seine Aufforderung zum Tanzen aus, woraufhin er in den Klageruf ausbrach: »Warum sind die Mädchen in Cambridge alle so unhöflich?« Und irgendeine herzlose Andrée oder Sharon antwortete: »Weil die meisten Männer so sind wie Sie.« In der Warteschlange am warmen Buffet bot er - im Scherz - einer anderen jungen Schönheit sein Würstchen an. Und sie, diese dämliche Sabrina, diese Nicki, die daran gewöhnt war, unerwünschte Verehrer abzuschmettern, ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete zuckersüß: »Oh, aber es gibt Tiere, die ich niemals essen würde.«
    Nun muß man zugeben, daß auch Solanka selbst Dubdub mehr als einmal aufgezogen hatte. Bei ihrer gemeinsamen Abschlußfeier im freiheitsbewegten Sommer 1966, als sie es sich, im Talar, hochgestimmt und eingeengt von Eltern, auf dem Rasen vor dem College gestatteten, von der Zukunft zu träumen, verkündete Dubdub erstaunlicherweise seine Absicht, Romancier zu werden. »Vielleicht wie Kafka«, sinnierte er und zeigte sein breites Oberklassengrinsen, das Hockey-Captain-Grinsen seiner Mutter, das nicht mal eine Andeutung von Schmerz, Armut oder Zweifel je hatte trüben können und das angesichts seines väterlichen Erbes, der dichten, dunklen Augenbrauen, die an unaussprechliche Entbehrungen seiner Vorfahren in der häßlichen Stadt Lodz erinnerten, so fehl am Platz wirkte. » Im Rattenloch. Konstruktion einer Maschine ohne Sinn und Zweck. Wut. So ähnlich.«
    Solanka unterdrückte ein Lachen und sagte sich mitfühlend, daß es in dem Konflikt zwischen diesem Lächeln und diesen Augenbrauen, zwischen Silberlöffel-England und Blechlöffel-Polen, zwischen dieser strahlenden, einsachtzig großen Cruella-De-Vil-Modepuppe von Mutter und diesem vierschrötigen, flachgesichtigen Bullen von Vater möglicherweise wirklich Raum genug geben mochte, in dem ein Schriftsteller wachsen, blühen und gedeihen konnte. Wer konnte das wissen? Das waren vielleicht sogar genau die richtigen Wachstumsbedingungen für diesen unmöglichen Hybriden, einen englischen Kafka.
    »Oder aber«, sinnierte Dubdub, »man könnte sich an kommerzielleren Dingen versuchen. Das Tal der Zuckerpuppen. Oder es gibt einen glücklichen Mittelweg zwischen anspruchsvoll und schmalzig. Die meisten Menschen sind halbgebildet, Solly, keine Widerrede. Sie wollen nur ein bißchen Anregung, aber bloß nicht zu viel. Außerdem übrigens nicht zu lang. Keinen von diesen dicken Wälzern, Tolstoi, Proust. Kleine Bücher, von denen man keine Kopfschmerzen kriegt. Die großen Klassiker, nacherzählt - in Kurzform - als Groschenheft. Othello aufgepeppt als Die Morde des Mohren. Wie findest du das?«
    Das reichte. Aufgeputscht von Waterford-Wajdas erstklassigem Champagner - von seinen eigenen Eltern hatte es keiner für nötig gehalten, von Bombay anzureisen, um an seiner Abschlußfeier teilzunehmen, und Dubdub hatte großzügig darauf bestanden, ihm ein Glas einzuschenken, das er ständig wieder

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