Wut
zu formulieren, glaubte er zuweilen Dubdubs Stimme zu hören, die ihn anspornte. Es war eine Zeit des Dirigismus, und es war zum Teil Waterford-Wajda, der verhinderte, daß er im allgemeinen Strom mitschwamm. Der Staat kann dich nicht glücklich machen, flüsterte ihm Dubdub ins Ohr, er kann dich nicht gesund machen oder ein gebrochenes Herz heilen. Der Staat leitete Schulen, aber könnte er deine Kinder lehren, das Lesen zu lieben, oder wäre das deine Aufgabe? Es gab einen National Health Service, aber was könnte der gegen den hohen Prozentsatz von Menschen tun, die zu ihrem Arzt laufen, obwohl das gar nicht notwendig wäre? Es gab Sozialwohnungen, gewiß, aber das nachbarschaftliche Verhältnis stand nicht auf dem Programm der Regierung. Solankas erstes Buch, ein schmaler Band mit dem Titel Was wir brauchen , ein Bericht über die Veränderung der Einstellung des politischen Spektrums in der europäischen Geschichte zu dem Problem Staat gegen Individuum, wurde von beiden politischen Lagern angegriffen und später als einer der Vorläufer für das geschildert, was schließlich als Thatcherismus bezeichnet wurde. Professor Solanka, der Margaret Thatcher verabscheute, räumte schuldbewußt einen Teil dessen als Wahrheit ein, was er als Anschuldigung empfand. Thatcherscher Konservatismus war die Gegenkultur, die schiefgelaufen war: Sie teilte das Mißtrauen seiner Generation gegen die Institutionen der Macht und benutzte ihre Sprache der Opposition, um die alten Machtblöcke der Welt zu zerstören - die Macht nicht etwa dem Volk zu geben, was immer das heißen mochte, sondern einem Geflecht von spendierfreudigen Kumpanen. Es war eine bachaufwärts fließende Wirtschaft, und das war die Schuld der Sechziger. Derartige Überlegungen trugen hauptsächlich zu Professor Solankas Entschluß bei, die Welt des Denkens zu verlassen.
Ende 1970 war Krysztof Waterford-Wajda so etwas wie ein Star. Akademiker waren charismatisch geworden. Bis zum Sieg der Naturwissenschaft, durch den die Physik zur neuen Metaphysik wurde und die Mikrobiologie, nicht die Philosophie, sich mit der großen Frage beschäftigte, was es bedeute, Mensch zu sein, war es nicht mehr weit; die Literaturkritik war die Glanznummer, und ihre Titanen schritten mit Siebenmeilenstiefeln von Kontinent zu Kontinent, um sich auf einer immer größeren internationalen Bühne zu produzieren. Dubdub bereiste die Welt, wie Peter Sellers in The Magic Christian , mitsamt einer eigenen Windmaschine, die sein früh ergrautes Lockenhaar selbst in Innenräumen wehen ließ. Manchmal wurde er von eifrigen Abgeordneten mit dem mächtigen Franzosen Jacques Derrida verwechselt, wehrte diese Ehre aber mit einem englischen Lächeln der Geringschätzung ab, während sich seine polnischen Augenbrauen bei dieser Beleidigung zusammenzogen.
Das war die Zeit, in der die beiden großen Industrien der Zukunft geboren wurden. Die Kulturindustrie sollte in den kommenden Jahrzehnten jene der Ideologie ersetzen, so grundlegend werden, wie es die Wirtschaftswissenschaften gewesen waren, und eine ganze neue Nomenklatura kultureller Kommissare hervorbringen, eine neue Art von Apparatschiks, in großen Ministerien der Definition, Exklusion, Revision und Persekution angestellt, und eine Dialektik auf der Basis des neuen Dualismus von Defensive und Offensive. Und wenn Kultur der neue Säkularismus der Welt war, dann war ihre neue Religion der Ruhm, und die Industrie - oder besser, die Kirche - der Prominenz würde einer neuen ecclesia sinnvolle Arbeit verschaffen, eine Missionierung, zugeschnitten auf die Eroberung dieser neuen Grenze durch den Bau ihrer glitzernden Zelluloid-Vehikel und ihrer Kathodenstrahlraketen, durch die Entwicklung neuer Treibstoffe aus Klatsch, mit welchen die Auserwählten zu den Sternen flogen. Und um die dunkleren Erfordernisse des neuen Glaubens zu erfüllen, gab es gelegentlich Menschenopfer und steile, flügelverbrennende Abstürze.
Dubdub war ein früher Ikarus-ähnlicher Ausbrenner. In diesen goldenen Jahren sah Solanka nur wenig von ihm. Das Leben trennt uns mit seinen anscheinend zufälligen Geschehnissen, und wenn wir eines Tages den Kopf schütteln, als erwachten wir aus einer Träumerei, sind uns die Freunde fremd geworden und können nicht zurückgeholt werden: »Kennt hier denn niemand den armen Rip van Winkle ?« fragen wir wehmütig, und niemand scheint ihn mehr zu kennen. So kam es mit den beiden alten Collegefreunden. Dubdub war jetzt meistens in Amerika,
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