Wyler, Leana
falschen Weg eingeschlagen hatte, aber keine durch und durch bösartige Kreatur wie seine Mutter.
Sie streichelte seinen Rücken, fühlte, wie seine starken Arme sie fest umschlungen hielten, geradezu an sich pressten, als bräuchte er jemanden, der ihm ein wenig Halt gab. Sanft küsste sie die Narbe an seinem Kinn, dann weiter seinen Hals. Sie legte ihre Wange gegen die seine, konnte seinen Atem spüren, die Anspannung in all seinen Muskeln, seine Lippen, die nun zärtlich ihr Gesicht küssten.
Ganz ruhig standen sie so, eine ganze Weile. Es fühlte sich so richtig an, hier bei ihm zu sein und ihn zu umarmen. Sein Körper war ihr vertraut, seine Hände alte Bekannte, und sie mochte seinen Geruch nach Leder und Holz. Stundenlang hätte sie so stehen können, ihn im Arm halten und zärtlich streicheln. Seine Nähe machte ihr keine Angst mehr, im Gegenteil, sie fühlte sich wohl bei ihm.
Doch bald würde er weg sein. Am Hof des Königs, mit Marian, seiner Ehefrau. Susannahs Brust wurde eng, als sie daran dachte. Wahrscheinlich würde sie ihn nie mehr wiedersehen. Und selbst wenn, dann wäre er ein verheirateter Mann. Während sie nur eine gewöhnliche Hebamme war. Keinesfalls würde er sich mit ihr unterhalten, ganz zu schweigen davon, sie zu berühren oder gar zu küssen. Sie presste ihn noch ein wenig fester an sich, einen kleinen Moment nur, dann ließ sie ihn ein Stückchen los und fuhr noch einmal ganz langsam mit den Fingern durch sein Haar.
Sie wünschte ihm von ganzem Herzen, dass ihn Marian lieben würde. Dass er glücklich wäre an ihrer Seite, verdient hätte er es. In seinem bisherigen Leben war ihm noch nicht viel Glück untergekommen.
Er schwieg. Lange Zeit. Sie konnte seinen Atem spüren, der sich langsam beruhigte. Irgendwann, sie hatte keinerlei Vorstellung, wie viel Zeit vergangen war, löste er sich nach und nach ganz aus ihrer Umarmung.
„Wollt Ihr, dass ich heute Nacht bei Euch liege?”, fragte sie leise.
Mit einer zärtlichen Geste strich er ihr übers Haar. „Geh heim”, sagte er schließlich, „Ich muss nachdenken.”
Sie nickte, zog das Kleid glatt und ging mit unsicheren Schritten zur Tür.
„Susannah?”
Sie fuhr herum. „Ja, Milord?”
Er öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder und sagte schließlich weich: „Ich danke dir…” Danach pausierte er und hob einen Augenblick später etwas linkisch die Arme. „…für das Anlegen der Verbände.”
Lächelnd vollführte Susannah einen kleinen Hofknicks. Sie wusste, dass er etwas anderes damit gemeint hatte.
Dann schlich sie auf leisen Sohlen durch den Gang und hinaus aus Nottingham Castle.
7 Peitschenhiebe
„Nein, das dürft ihr nicht, nicht meinen Henry!”
„Dann nehmen wir dich eben auch mit, Weib!”
Gellende Schreie schallten durchs ganze Dorf. Zusammen mit ihrem Vater stürzte Susannah aus dem Haus, um nachzusehen, was da vor sich ging. Als sie keuchend am Dorfplatz ankam, stockte ihr der Atem. Mitten am Nachmittag trieb eine Schar Soldaten ihre Pferde durch die Gassen, lodernde Fackeln in den Händen.
„Kommt raus, sonst zünden wir alle Häuser an”, brüllte der Anführer, während einer der hinteren Männer den kleinen Henry samt seiner wild um sich schlagenden Mutter aufs Pferd wuchtete. Die erste Fackel flog auf ein Dach, das Stroh fing Feuer, lautes Prasseln übertönte die Hufschläge. In Panik liefen die Leute aus dem Haus. Überall brüllte jemand, beißender Rauch stieg Susannah ins Gesicht, als sie weiterlief, näher an das Geschehen heran.
„Bleib sofort stehen!”
Sie fuhr herum, ihr Herz rasend, weil jemand sie am Ärmel gepackt hatte. Doch es war nur ihr Vater. Er war ihr nachgeeilt und stand nun schwer atmend hinter ihr.
Susannah war völlig außer sich. „Das kann er nicht machen!”, schrie sie, „nicht die Kinder, er hat gesagt, er nimmt die Kinder nicht!”
Sie wollte sich losreißen und den Müttern helfen, notfalls mit ihren blanken Zähnen. Doch sein Griff um ihren Arm lockerte sich nicht. Ihr Vater schüttelte sie grob. „Wovon redest du, zum Teufel? Du siehst doch, was hier passiert. Lauf zurück und versteck dich im Wald hinterm Haus, schnell!”
„Ich kann nicht, ich muss doch…”
„Susannah!”
Er packte sie mit beiden Händen an den Schultern und drehte sie zu sich, sodass sie ihn ansehen musste.
„Lauf weg hier! Sofort! Du hilfst niemandem, wenn sie dich auch packen.”
Sie musste einsehen, dass er recht hatte. Nur ein paar Häuser weiter ergriffen die
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