Wyler, Leana
Herr.
Aus dem Gesicht seiner Mutter wich sämtliche Farbe. Ihre Hand zitterte, sie zog diese von seinem Ärmel zurück, als hätte sie etwas Ekelerregendes angefasst. In ihren Augen stand der blanke Hass.
„Ich hätte es wissen müssen”, flüsterte sie in die plötzliche Stille hinein. „Du fühlst dich zu deinesgleichen hingezogen. Erst diese dreckige Hure und nun erbarmt dich das Gesindel aus dem Dorf. Ich hätte es wirklich wissen müssen!”
Sie griff sich an den Kopf, raufte sich die Haare und ließ ein schrilles Wehklagen ertönen. Dabei schaukelte sie mit dem Oberkörper in gespenstischer Manier vor und zurück.
Eadric überfiel ein kalter Schauer und seine Nackenmuskeln zogen sich hart zusammen. Noch nie hatte er seine Mutter so erlebt.
„Was meinst du damit – meinesgleichen?”, fragte er mit heiserer Stimme.
Sie hörte mit dem Geschaukel nicht auf.
Verflucht!
Eadric sprang auf und rüttelte sie an der Schulter. „Sprich! Was willst du mir damit sagen!”, brüllte er sie an.
Sie hob langsam den Kopf und blickte ihn direkt an. Schwieg für einen unerträglich langen Augenblick. Er sah sie tief Luft holen, dann erst begann sie zu reden.
„Vielleicht ist die Zeit gekommen, dass du die Wahrheit erfährst”, zischte sie, hob langsam die Hand und zeigte mit ihrem krummen Zeigefinger auf ihn. „Du bist kein Nottingham, du bist nur ein Bastard. Der unwürdige Sohn deiner Amme, ein erbärmlicher Wurm, den ich angenommen habe, weil unser Sohn kurz nach der Niederkunft starb.”
Sie presste die Lippen aufeinander.
„Was?”
Eadric taumelte zurück. Schwindlig. Ein paar Schritte weg von ihr, weg von diesen Ungeheuerlichkeiten, die sie ihm an den Kopf warf. Sie saß wie erstarrt, ihre kalten Augen auf ihn gerichtet, während er Halt suchend nach der Tischkante greifen musste.
Kein Nottingham?
Er konnte es nicht glauben, wollte, durfte es nicht glauben.
Sohn der Amme?
Der Boden unter ihm schien zu schwanken. Sein Hemdkragen schnürte ihm die Luft ab, er fasste hinein, zerrte, riss ihn auf. Aber sein Hals blieb eng, das Atmen fiel ihm schwer, er keuchte, rang nach Luft.
„Nicht dein Sohn? Das – das kann nicht sein!”
Sie blieb vollständig ruhig, ihre Stimme tonlos. „Mein echter Sohn war schon bei der Geburt schwächlich. Er überlebte nicht einmal eine Woche.”
Die Worte prasselten wie Peitschenhiebe auf ihn ein. Er krümmte sich.
Doch sie fuhr gnadenlos fort. „Aber kurz nach mir kam die Dienstmagd Cecelya mit einem Knaben nieder. Also nahm ich ihn an. Zog ihn auf. Wollte ihn zu einem echten, starken Nottingham machen. Aber das erbärmliche Blut der einfachen Leute setzt sich am Ende wohl immer durch.”
Sie wendete ihren Stuhl. Die Räder schabten über den Holzboden. Mit einiger Mühe gelang es ihr, die Tür ganz zu öffnen. Sie rief nach einem Diener, barsch und schrill, so wie er ihre Stimme schon sein Leben lang kannte. Die Stimme seiner Mutter. Die sie gar nicht war. Alles drehte sich um ihn, wirbelte herum, zerfloss zu einem milchigen Nebel.
Eadric starrte wie versteinert auf die Tür, die hinter ihr zugefallen war. Kein Laut war nun zu hören. Die ganze Welt mit einem Mal stumm, das Zimmer leblos, das Licht fahl. Nicht einmal die Kerze flackerte. Völlig unfähig zu jeder Bewegung stand er da und konnte seinen Blick nicht abwenden. Dort war sie hinausverschwunden, die Frau, die ihn sein Leben lang belogen hatte. Sein Atem kam abgehackt, war das einzige Geräusch in diesem toten Raum.
Ja, belogen hatte sie ihn. Ihm die treue Ratgeberin vorgespielt, die strenge Mutter, die doch nur das Beste für ihr eigen Fleisch und Blut wollte.
Aus der Leere in seiner Brust wurde schlagartig lodernde Wut. Heiß war ihm, sein Kopf begann zu glühen, das Blut schoss schneller durch seine Adern.
„Du verdammte Ausgeburt der Hölle!”, brüllte er.
Seine Hände zuckten, er brauchte etwas, das diese anpacken konnten, etwas, das sein Zorn zerschmettern konnte, damit diese Glut hinausbrechen durfte aus seinem viel zu engen Leib. Eadric packte den schweren Eichenstuhl und schmetterte ihn mit einem animalischen Schrei gegen die Wand, sodass die Splitter durchs ganze Zimmer flogen.
Kein Nottingham! Ein Betrüger, eine Missgeburt, ein Bastard! Er machte ein paar Schritte auf die Wand zu, lehnte seine Stirn dagegen, kühle Mauer an seiner heißen Haut, hob den Arm und prügelte wie von Sinnen auf die Wand ein. Spürte nichts. Was gab es auch zu spüren.
Er war ein Niemand.
*
Susannah
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