Wyler, Leana
und küssten…
„Ich werde langsam verrückt!”, stieß er hervor. Und grinste bitter. Er konnte ja nicht einmal sagen, dass es in der Familie lag, denn dieses verwirrte Weib unten im Kerker war schließlich nicht seine leibliche Mutter.
Und wenn es doch echt gewesen war?
Er gab es auf, gegen die Vielzahl von Stimmen anzukämpfen, die sich allem Anschein nach in seinem Schädel breit gemacht hatten und munter durcheinander redeten. Erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl fallen und hörte zu, was sie ihm einflüsterten. So fühlten sich also diese Irren, die man in Ketten legte und in ein dunkles Verlies sperrte. Eine Erfahrung, auf die er gut hätte verzichten können.
Wenn ihre Umarmung wirklich von Herzen gekommen war?
Ja, was dann?
Es machte doch keinen Unterschied, absolut keinen. Morgen um diese Zeit war er schon unterwegs in sein neues Leben. Er würde Susannah niemals wiedersehen.
Das wurde ihm nun erst richtig bewusst. Ruckartig sprang er vom Stuhl auf. Völlig egal, ob echt oder nicht. Ein einziges Mal in seinem Leben wollte er sie noch spüren. Er würde ihr sagen, dass dies ihr letzter Dienst sei und sie danach frei wäre. Sicherlich würde sie nicht mit einer Weigerung riskieren, dass er ihrem Vater oder ihr selbst etwas antäte, so dumm war sie nicht.
Und wer wusste schon, ob sie ihm nicht doch aus freien Stücken ein wenig Leidenschaft entgegen bringen würde…
Voll Tatendrang raffte er einige Gewänder zusammen und rief einen Diener herein. Er drückte ihm den Stapel in die Hand. „Pack das sorgsam in die Truhe für Lady Marian, das sind Geschenke für meine künftige Braut.”
Dann eilte er den Gang entlang und die Treppe hinunter in die Halle. Es gab noch vieles zu erledigen, bevor er sich selbst eine letzte Nacht als Abschiedsgeschenk machen konnte.
*
Es war später Nachmittag, als Susannah das Neugeborene endlich in ein zerschlissenes Tuch wickelte.
„Willkommen auf der Welt, kleine Margery”, sagte sie leise und reichte das Kind der Mutter. Für Agnes war es die erste Niederkunft gewesen und dementsprechend lange hatte es angedauert. Sie zeigte Agnes, wie sie ihre Tochter an die Brust legte, und ging dann zur Feuerstelle, wo der Topf mit Wasser hing. Die Kräuter, welche sie benötigte, holte sie aus einem kleinen Leinenbeutel. Ihre Lehrmeisterin Marybeth hatte sie in diesen Dingen gut unterrichtet. Agnes hatte während der Niederkunft sehr viel Blut verloren und mehr als einmal hatte Susannah heimlich nach dem Fläschchen in ihrer Rocktasche gegriffen, welches ihr Vater ihr damals in die Hand gedrückt hatte. Doch sie wollte dieses neuartige Wundermittel nicht ausgerechnet in einer derart bedrohlichen Situation ausprobieren. Sicher würden sich einmal harmlosere Gelegenheiten bieten, die blutstillende Wirkung zu testen.
„Agnes, ich muss mich auf den Weg machen, sonst schaff ich es nicht mehr heim, bevor die Dunkelheit anbricht“, sagte sie. „Kommst du zurecht?”
Die junge Frau nickte tapfer. Sie litt darunter, dass ihr Gemahl derzeit viel unterwegs war, so wie alle Männer des Dorfes.
„Ich hab ja meine Nachbarinnen, die helfen sicher, wenn was sein sollte”, erwiderte Agnes.
„Na dann marschiere ich mal los.” Susannah legte ihren Umhang an.
„Bist du nicht mit dem Pferd da?”
„Nein, das hat mein Vater jemandem geliehen. Ich kann ja auch laufen, das macht mir nichts aus.”
Sie verabschiedete sich und trat vor die Tür der Hütte. Die Sonne schob sich gerade als rot glühende Kugel über die Baumwipfel des Sherwood Forests. Sie sollte schleunigst sehen, dass sie heimkam, sonst würde es bald stockfinster sein. Eiligen Schrittes ging sie den wohlbekannten Weg entlang. Agnes` Hütte lag am anderen Ende des Dorfes, dort, wo der Pfad sich teilte und man auch zur Burg reiten konnte. Susannah versuchte erst gar nicht darüber nachzudenken, was dort wohl vor sich ging, und lief lieber weiter geradeaus.
Als sie mehrere Pferde im schnellen Galopp ankommen hörte, machte sie den Weg frei und trat mit gesenktem Kopf seitlich in eine Wiese. Die Soldaten waren fast schon an ihr vorbei, als ein großes schwarzes Pferd wiehernd zum Stehen gebracht wurde.
Der Sheriff. Er zögerte nicht lange, sondern kam in die Wiese geritten. Dort hielt er seinen Hengst neben ihr an, nahm den Fuß aus dem Steigbügel und befahl in barschem Ton: „Steig auf!“
Ihr blieb nichts anderes übrig, als den angebotenen Arm und den Steigbügel zu gebrauchen und sich hinter ihm aufs Pferd
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