Wyler, Leana
zu schwingen. Kaum hatte sie Halt suchend seine Schultern ergriffen, da galoppierte er an und schlug, umringt von seinen Soldaten, den Weg zum Castle ein.
Was wollte er von ihr? Er hatte sie doch weggeschickt und ihr befohlen, ihm nie wieder unter die Augen zu kommen. Und nun packte er sie wie ein Stück Vieh und verschleppte sie wieder einmal in seine Gemächer? Um ihm erneut zu Diensten zu sein?
Oder – ihr Atem stockte, als ihr dieser Gedanke in den Kopf schoss – wollte er sich an ihr rächen? Sie eigenhändig auspeitschen als Rache, weil sie dies bei ihm unternommen hatte? Oder sonstige grausame Dinge an ihr verrichten?
Hasste er sie?
Susannah hatte nicht die geringste Ahnung, was er mit ihr vorhatte, geschweige denn, wie seine Stimmung im Moment aussah. Sie musste abwarten, bis der Tross im Burghof angekommen war.
Doch auch, nachdem Nottingham abgestiegen und sie vom Pferd gerutscht war, blieb sein Vorhaben im Dunkeln. Er sah sie nicht an, sprach nicht mit ihr, gab ihr nur per knapper Handbewegung Weisung, ihm zu folgen. Durch die Eingangshalle, den langen Gang und am Ende hinein in seine Gemächer.
Auf dem langen Holztisch waren Teller und Kelche angerichtet, Karaffen mit Wein und Wasser standen darauf sowie eine große Schale mit Obst.
Er zeigte ihr an, sich zu setzen, und tat es ihr gleich. Susannah saß auf der Kante des Stuhls, jeden einzelnen Muskel angespannt.
Endlich sah er sie an. „Dies ist mein letzter Abend auf Nottingham Castle und du wirst ihn mit mir feiern.”
Überrascht öffnete sie den Mund. Er wollte ihr also nichts Böses? Dass hier auf der Burg schon seit Tagen hektische Vorbereitungen liefen für die große Reise, hatte sich bereits im Dorf herumgesprochen.
„Dann werdet Ihr also bald mit Sir John an der Tafel sitzen statt mit einer einfachen Hebamme.”
„Du sagst es.”
„Er wird sich sicher dankbar erweisen, dass Ihr ihm den berüchtigten Robin Hood ausliefert.”
Nottingham schenkte erst sich und dann ihr vom Wein ein. „Locksley erwartet dort ein Prozess. Er wird die gerechte Strafe für seine Untaten erhalten.”
„Und die Leute aus dem Dorf?”, fragte sie. „Die Kinder und Frauen, Ihr habt sie immer noch in Eurem Gewahrsam, Sire.”
Er schüttelte leicht den Kopf und lächelte. „Die gute Susannah. Stets bemüht um das Heil der anderen. Zerbrichst du dir immer dein hübsches Köpfchen um deiner Mitmenschen Willen?”
„Ich bin ein mitfühlender Mensch, wie Ihr wisst, Milord”, erwiderte sie vielsagend.
Seine Stimmung war schwer einzuschätzen und konnten blitzartig umschlagen, aber zumindest im Moment schien er recht entspannt zu sein. Und nicht darauf erpicht, sie irgendwo aufzuhängen.
„Das bist du in der Tat.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Und dafür sollst du heute belohnt werden.”
Wollte er ihr ein Silberstück in die Hand drücken als kleinen Ausgleich für ihre Ergebenheit in seinem Bett?
„Alles, was ich will, ist Freiheit für die Dörfler!”, brach aus ihr hervor.
Er lachte auf. „Meine liebe, süße Susannah. In diesem Punkt sollst du deinen Willen haben. Die Leute waren mein Faustpfand, sie werden selbstredend freigelassen, sobald ich morgen auf meinem Pferd sitze.”
Susannah atmete auf. Immerhin hielt er sich an sein Wort. Aber ansonsten – sie konnte ihn nicht einschätzen. Er verschanzte sich hinter dieser Maske aus ironischer Freundlichkeit. Welche wahren Gefühle sich dahinter verbargen, wusste sie nicht und das machte sie in gehörigem Maße unruhig.
„Bevor wir mit dem Essen beginnen, habe ich, wie eben gesagt, ein Geschenk für dich. Du sollst doch einen vernünftigen Anblick bieten, denn du tafelst hier mit dem zukünftigen Berater von König John.”
Er stand auf und ging zu einem der breiten Schränke, öffnete ihn und nahm einen dunklen Packen Stoff heraus.
„Zieh dich nebenan um. Ich lasse inzwischen die Speisen auftragen.”
Er gab ihr das Bündel in die Hand und rief nach einem Diener. Susannah war so überrascht, dass sie erst vollkommen versteinert auf das Paket starrte. Ein Kleid? Er schenkte ihr ein feines Gewand aus schwerem Stoff und Silberfäden? Als er sie ansah, mit abwartend hochgezogener Augenbraue, eilte sie in sein Schlafgemach. Sie breitete das tiefschwarze Kleid auf dem Bett aus. Es war wie aus einem Traum! Edel, reich bestickt mit Silberfäden und mit einem körpernahen Schnitt, den sonst nur Damen des oberen Standes trugen. Eine kleine Schachtel rollte aus dem Stoff heraus. Neugierig
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