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Wyrm

Wyrm

Titel: Wyrm
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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war mit Stickereien aus dünnen Goldfäden übersät, die ihn an die unheimliche Wandmalerei draußen erinnerten; nur dass der Effekt hier noch viel, viel schlimmer war: Der Vorhang bewegte sich in einem leichten Luftzug, der aus dem Raum dahinter kam, was die verwirrenden Linien und Strichmuster nun tatsächlich zum Leben zu erwecken schien. Der Gestank, der schon draußen im Kirchenschiff schier unerträglich gewesen war, war hier drinnen noch weit schlimmer. Der Luftzug, der den Vorhang bauschte, brachte ihn mit sich.
    Coppelstone begann sorgsam den Inhalt der Wandregale zu untersuchen. Das meiste war vollkommen unbrauchbar: Die Bücher, nach denen er griff, lösten sich entweder zu Staub auf oder zerfielen unter seinen Fingern zu einer schmierigen, übel riechenden Masse, sodass er nach zwei oder drei Versuchen aufgab und es dabei beließ, die Titel auf den Buchrücken zu studieren, soweit sie noch zu entziffern waren. Bei den meisten handelte es sich um religiöse Schriften, einige wenige beschäftigten sich mit Landwirtschaft oder Botanik, eines aber war ihnen allen gemein: Nicht ein einziges schien jünger als fünfzig Jahre zu sein.
    Schließlich schien es, als hätte er zum ersten Mal seit geraumer Zeit wieder Glück: Er fand nicht nur eine Reihe ordentlich gebundener Folianten, deren handschriftliche Benennung ihm verriet, dass sie die Gemeindechronik von Magotty enthielten; zumindest die beiden letzten Bände waren noch in einem halbwegs guten Zustand. Zu seinem Bedauern waren sie zu unhandlich, um sie beide mitzunehmen, sodass er nur den letzten vom Regal nahm und unter seine Jacke schob. Dann wandte er sich dem Vorhang zu.
    Er streckte die Hand danach aus, zögerte aber, ihn beiseitezuschieben. Was immer sich dahinter verbarg, es musste das wahre Geheimnis dieser vermeintlichen Kirche sein, und er hatte das sichere Gefühl, dass es ihm nicht gefallen würde. Aber er war auch schon viel zu weit gegangen, um jetzt noch kehrtzumachen.
    Entschlossen öffnete er den Vorhang.
    Dahinter lag ein winziger Raum, der keinen Boden hatte, sondern den Beginn einer steil in die Tiefe führenden, offenbar aus dem Felsen herausgemeißelten Treppe enthielt. Coppelstone leuchtete mit seiner Lampe hinab, konnte ihr unteres Ende aber nicht ausmachen. Immerhin sah er, dass die Stufen zwar unregelmäßig und vollkommen unterschiedlich hoch und breit waren, trotzdem aber wie glatt poliert schimmerten.
    Er zögerte hinabzugehen. Der Gestank, der aus der Tiefe zu ihm heraufdrang, war so grässlich, dass er ernsthaft befürchtete, sich übergeben zu müssen. Außerdem flößte ihm die Dunkelheit dort unten eine fast übermächtige Furcht ein. Irgendetwas verbarg sich dort unten, das spürte er.
    Trotzdem ging er nach einiger Zeit weiter, wenn auch mit zitternden Knien und heftig pochendem Herzen.
    Die Stufen waren so glatt, wie sie aussahen. Er musste achtgeben, nicht darauf auszugleiten und die Treppe kopfüber hinunterzustürzen. Die Treppe schien kein Ende zu nehmen. Er zählte siebenundachtzig Stufen, bis er endlich unten war, was bedeutete, dass er sich mindestens zwanzig Yards unter der Erde befand, wahrscheinlich aber mehr.
    Die Treppe endete jedoch nicht in einem Keller oder unterirdischem Gewölbe, wie er erwartet hatte, sondern in einem gut zwölf Fuß durchmessenden kreisrunden Stollen, dessen Wände aus sorgsam geglättetem und anschließend offenbar poliertem Felsgestein bestanden, denn sie schimmerten im Licht der Grubenlampe wie frisch geputztes Silber. Nur auf dem Boden lag die gleiche übel riechende zähe Masse, die auch den Boden der Kirche oben bedeckte.
    Coppelstone hob seine Lampe und drehte sich einmal im Kreis, wobei er seine Lampe hin- und herschwenkte. Der Stollen erstreckte sich in beiden Richtungen, so weit er sehen konnte, und vermutlich noch sehr viel weiter. Coppelstone hätte ihn gerne erkundet, aber er spürte, dass er den Gestank nicht mehr lange aushalten würde. Außerdem wurde es Zeit, wieder nach oben zu gehen. Draußen musste es jetzt allmählich zu dämmern beginnen, und er wollte nicht das Risiko eingehen, beim Verlassen der Kirche gesehen zu werden.
    Er stieg also die Treppe wieder hinauf, durchquerte die Sakristei und wollte die Kirche gerade verlassen, als er abermals ein Geräusch hörte und stehen blieb.
    Es war ein furchtbarer Laut: Ein nasses Schlabbern, als tauchte etwas Großes seinen Rüssel in eine weiche Masse und saugte sie auf – genau das war die Assoziation, die
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