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Xeelee 1: Das Floss

Xeelee 1: Das Floss

Titel: Xeelee 1: Das Floss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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letzter Mann zwängte sich durch die zugehende Tür. Er blieb mit dem Knöchel am Pfosten hängen, und als Rees sein Schienbein brechen hörte, wurde ihm schlecht. Eine ganze Familie löste sich vom Deck des Floßes und schlug gegen die Hülle und glitt mit erstaunten Blicken in die Unendlichkeit…
    Rees schloß die Augen und klammerte sich an das Teleskop.
    Endlich war es vorbei. Das Floß wurde zu einer Decke über ihnen, entfernt und abstrakt; der dünne Regen von Menschen auf die Hülle versiegte, und vierhundert Leute erlebten plötzlich zum erstenmal in ihrem Leben den freien Fall.
    Ein Schrei ertönte, der von sehr weit her zu kommen schien. Rees schaute nach oben. Roch war mit einem brennenden Knüppel in der Hand durch das Loch im Zentrum des Floßes gesprungen. Er fiel die dazwischenliegenden Meter mit gespreizten Beinen und starrte mit hervorquellenden Augen durch das Glas auf die erschrockenen Passagiere.
    Der große Bergmann krachte kopfüber auf das durchsichtige Dach des Observatoriums. Er ließ seinen Knüppel fallen und versuchte krampfhaft, sich an der glatten Wandung festzuhalten. Doch er schlitterte hilflos über die Oberfläche, wobei seine gebrochene Nase und der zerschlagene Mund eine Blutspur hinterließen. Dann taumelte er seitlich weg – und ergriff schließlich, in letzter Sekunde, den rauhen Vorsprung einer Dampfdüse.
    Rees kletterte vom Teleskop herab und machte Gord ausfindig. »Verdammt, wir müssen etwas tun. Sonst wird er die Düse losreißen.«
    Gord kratzte sich am Kinn und musterte den baumelnden Mineur, der zu den verblüfften Passagieren hereinstarrte. »Wir könnten die Düse in Betrieb setzen. Der Dampf würde ihn natürlich verfehlen, weil er unterhalb der eigentlichen Austrittsöffnung hängt – aber seine Hände würden versengt – ja; das würde ihn abschütteln…«
    »Oder«, schlug Rees vor, »wir könnten ihn bergen.«
    »Was? Rees, dieser Spaßvogel hat versucht, dich umzubringen.«
    »Ich weiß.« Rees sah hinaus auf Rochs rotes Gesicht und seine angespannten Muskeln. »Sucht ein langes Seil. Ich werde die Schleuse öffnen.«
    »Das ist nicht dein Ernst…«
    Doch Rees war schon auf dem Weg zum Schott.
    Als der große Mineur schließlich erschöpft auf dem Deck lag, beugte sich Rees über ihn. »Hör zu«, sagte er fest. »Ich hätte dich sterben lassen können.«
    Roch leckte das Blut von seinem ramponierten Mund.
    »Ich habe dich nur aus einem Grund gerettet«, erläuterte Rees. »Du bist ein Überlebenskünstler. Deshalb hast du dein Leben mit diesem verrückten Sprung riskiert. Und dort, wo wir hingehen, brauchen wir Überlebenskünstler. Verstehst du? Doch wenn ich jemals – auch nur einmal – glaube, daß du diese Mission mit deiner verdammten Sturheit gefährdest, werde ich dieses Schott öffnen und dich deinen Fall beenden lassen.«
    Für lange Minuten hielt er Blickkontakt mit dem Bergmann, und schließlich nickte Roch.
    »Gut.« Rees stand auf. »Also«, fragte er Gord, »was jetzt?«
    Es lag ein Gestank nach Erbrochenem in der Luft.
    Gord wölbte die Augenbrauen. »Schwerelosigkeits-Ausbildung, glaube ich«, sagte er. »Und eine Menge Arbeit mit Lappen und Eimer…«

    Mit den Händen um Hals und Waffenarm seines Angreifers drehte sich Decker um und sah das Brücken-Gerüst in seine filigranen Komponenten zusammenfallen. Der große Zylinder hing für eine Sekunde in der Luft; dann spuckten die Dampfdüsen weiße Wolken, und die Brücke fiel nach unten weg. Dabei hinterließ sie ein Loch im Deck, in das hilflos einige Leute fielen.
    Es war also vorbei; Decker war gestrandet. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Kontrahenten zu und machte sich daran, das Leben aus dem Mann herauszuquetschen.
    Auf dem aufgegebenen Floß ging das Töten noch viele Stunden weiter.

15

    IN DEN ERSTEN STUNDEN nach dem Start war es in dem überfüllten Schiff fast nicht zum Aushalten. Es stank nach Erbrochenem und Urin, und Menschen jeden Alters schwärmten schreiend und rangelnd durch die Kammer.
    Rees führte das Problem nicht nur auf die Schwerelosigkeit zurück, sondern auch auf den Sturz des Schiffes selbst. Auf einmal damit konfrontiert zu werden, daß die Welt nun doch keine unbegrenzte Scheibe war – zu erkennen, daß das Floß im Grunde nicht mehr gewesen war als eine aus Eisen zusammengestückelte Motte in der Luft – schien einige Passagiere an den Rand des Wahnsinns getrieben zu haben.
    Vielleicht hätte man die Fenster beim Start verdunkeln

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