Xeelee 1: Das Floss
Knorpeln, an dem entlang er sich in Sicherheit gehangelt hatte: die aufgerissene Haut hatte ihre Transparenz verloren und war mit einer dicken Fettschicht bedeckt. Vielleicht würde diese nachgeschleppte Falte irgendwann vom Körperkreislauf getrennt werden, zusammenschrumpfen und einfach abfallen.
Durch Rees Kletterei war rund um die Wunde das Fleisch von den Knorpeln abgeschabt worden; nur vereinzelt hingen noch einige Reste herum, wie die letzten Blätter an einem herbstlichen Baum. Rees lag auf dem warmen Boden, packte an einer Stelle die Knorpel und stieß den Kopf und den rechten Arm durch die Wunde. Dann griff er nach der Außenseite des Walkörpers und riß so viel Fleisch heraus, wie er greifen konnte. Während seiner Aktivitäten wehte durch die Rotation des Tieres ständig eine Brise über sein Gesicht und die bloßen Arme.
Als er fertig war, zog er sich von der Wunde zurück und verstaute seine kargen Vorräte, von denen er sofort eine Handvoll in den Mund schob. Der klebrige Saft des Walfleischs tröpfelte wohltuend seinen ausgedörrten Hals hinunter, und flockiges Fleisch verfing sich in seinem Bart. Dann hockte er sich auf den warmen Boden, und während er minutenlang vor sich hinkaute, verdrängte er die Gedanken an die Zukunft.
Nachdem das Mahl beendet und sein Hunger und Durst zumindest teilweise gestillt waren, hatte der Fleischstapel um mindestens die Hälfte abgenommen. Mit dem verdammten Zeug würde er kaum über die Runden kommen… Er stopfte den Rest in die Taschen seiner schmutzigen Kombination.
Nun machte sich ein anderes Problem bemerkbar, als der Druck in seiner Blase und im Mastdarm zu schmerzen begann. Irgendwie verspürte er Hemmungen, sich im Körper eines anderen Lebewesens zu erleichtern; es schien ihm ein obszönes Vergehen zu sein. Doch sein Schließmuskel machte ihm klar, daß er eigentlich keine andere Wahl hatte.
Schließlich ließ er die Hose herunter und hockte sich über die engste Stelle des Risses in der Magenwand.
In seiner Vorstellung entwickelte Rees ein bizarres Szenario, wie seine Exkremente in einer braungelben Wolke durch die Luft wirbelten. Es war natürlich höchst unwahrscheinlich, aber vielleicht würde das Zeug eines Tages den Gürtel oder das Floß erreichen. Würde dann einer seiner Bekannten angewidert nach oben blicken, um den Verursacher dieser Sauerei ausfindig zu machen – und dabei ihn verdächtigen?
Sein lautes Auflachen wurde von der weichen Wand um ihn herum absorbiert. Er hatte einige bevorzugte Adressaten, denen er eine solche Botschaft gerne hätte zukommen lassen. Gover, Roch, Quid… Vielleicht sollte er zielen.
Nachdem er seinem Bedürfnis nachgekommen war, stellte sich seine Neugierde wieder ein, und er sah sich im mysteriösen Innenleben des Wals um. Er wähnte sich in einem großen Raumschiff mit gläsernen Wänden. Vom Körperanfang erstreckte sich eine breite Röhre entlang der Körperlängsachse und verjüngte sich im hinteren Bereich. Unidentifizierbare Innereien rankten sich wie fette blasse Würmer um den zentralen Ösophagus und zweigten dann irgendwo ab. Säcke, die vier Personen hätten aufnehmen können und mit irgendeinem undefinierbaren Inhalt gefüllt waren, hingen von der röhrenförmigen Achse herab. Um die Hauptachse waren Organe gruppiert, und an der Innenseite der Außenhaut befanden sich weitere große, fremdartige Organe.
Irgendwo hinten im Körper konnte Rees das Anschlußgelenk des Flossenabschnittes ausmachen, und dann die großen halbkreisförmigen Flossen selbst, die stetig und kraftvoll durch die Luft schlugen. Die Bewegung der Flossen und die wirbelnden Schatten, die das Sternenlicht durch die transparente Haut warf, verliehen dem Ort eine fiktive Dynamik; doch sonst, von einem Brummen im Hintergrund abgesehen, herrschte völlige Stille in dem großen Raum. Rees hatte über die großen Kathedralen auf der Erde gelesen und erinnerte sich daran, wie er die alten Bilder betrachtet und sich gefragt hatte, wie es wohl sein würde, sich an so einem alten, großen und stillen Ort aufzuhalten.
Vielleicht wäre es so wie jetzt.
Er begab sich auf den Weg zur Frontsektion des Wals und schritt vorsichtig über den schlüpfrigen, elastischen Untergrund.
Er näherte sich einem aus dem Boden wachsenden Organ. Die undurchsichtige, abgeflachte Kugel war doppelt so hoch wie er, und ihre Masse übte eine leichte Gravitationswirkung auf ihn aus. Er preßte eine Hand auf den zähen Fleischklumpen, unter dessen Oberfläche
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