Xeelee 1: Das Floss
hielten schon das für zuviel.
Mit offenem Mund starten die Boneys zu ihr herauf. Einer von ihnen bekam Augenkontakt mit ihr, winkte ihr zu und leckte sich lüstern die Lippen. Das Essen wollte ihr schier wieder hochkommen, doch sie hielt seinem Blick stand, bis die Platte über dem stark gekrümmten Horizont des Gürtels verschwunden war. »Ich wollte, ich könnte glauben, daß wir diese Leute wirklich brauchen«, murmelte sie.
Grye zuckte die Achseln. »Sie sind menschliche Wesen. Und nach Rees’ Darstellung haben sie sich ihren Lebensstil nicht ausgesucht. Sie haben nur versucht zu überleben, wie wir alle das tun müssen… Vielleicht brauchen wir sie auch gar nicht. Unsere Arbeit mit den Maulwürfen im Sternenkern macht gute Fortschritte.«
»Wirklich?«
Grye kam näher heran. Jetzt, da sich die Unterhaltung auf ein Gebiet verlagert hatte, in dem er sich auskannte, wurde er zuversichtlicher. »Du weißt doch, was wir dort unten zu tun versuchen?«
»So in etwa.«
»Also: Wenn Rees’ Idee mit der Schwerkraftschleuder funktionieren soll, müssen wir das Floß auf eine präzise Flugbahn um den Kern herum bringen. Die Richtung der Asymptote hängt maßgeblich von den Ausgangsbedingungen ab.«
Sie hob die Hände. »Benutze lieber einsilbige Wörter. Oder noch kürzere.«
»Tut mir leid. Wir werden in einen engen Orbit gehen, sehr dicht an den Kern heran. Je geringer der Abstand ist, in dem wir ihn passieren, desto gewundener wird unsere Flugbahn um den Kern. Doch die Konsequenzen schon einer kleinen Abweichung wären dramatisch. Stell dir ein Bündel benachbarter Flugbahnen vor, die sich dem Kern nähern. Während sie die Singularität umrunden, fächern sie auf wie ausgefranste Fasern: Und ein noch so kleiner Fehler könnte dem Floß schließlich eine Richtung geben, die von der eigentlich geplanten stark abweicht.«
»Ich verstehe… glaube ich jedenfalls. Aber macht es wirklich einen solchen Unterschied? Du visierst doch einen ganzen Nebel an, ein Ziel, das Tausende von Meilen breit ist.«
»Ja, aber es ist weit entfernt, und deshalb muß präzise navigiert werden. Und wenn wir es auch nur um ein paar Meilen verfehlen, können wir bis in alle Ewigkeit im luftleeren Raum umhersegeln…«
»Wie kann dann ein Maulwurf dabei helfen?«
»Was wir tun müssen, ist, alle Flugbahnen in diesem Bündel zu ermitteln, um unseren Anflug auf den Kern festzulegen. Wir werden Stunden brauchen, um die Ergebnisse zu berechnen; eine Arbeit, die der ursprünglichen Besatzung offenbar von sklavenartigen Maschinen abgenommen wurde. Es war Rees, der die Idee hatte, die Gehirne der Maulwürfe zu benutzen.«
Sheen verzog ihr Gesicht. »Wessen auch sonst.«
»Er hat behauptet, daß es sich bei den Maulwürfen um einstige Flugmaschinen handelt. Und wenn man genau hinsieht, kann man erkennen, wo die Raketen, Steuerflossen und so weiter angebracht gewesen sein mußten. Also, folgerte Rees, müssen die Maulwürfe bis zu einem gewissen Grad die Orbitaldynamik beherrschen. Wir haben versucht, unsere Problem einem Maulwurf vorzulegen. Es gab ein stundenlanges Frage-und-Antwort-Spiel unten auf der Oberfläche des Kerns. Jetzt liefert der Maulwurf präzise Antworten, und wir kommen schnell voran.«
Sie nickte und jonglierte mit ihrem Drink. »Beeindruckend. Und du bist dir sicher hinsichtlich der Qualität der Ergebnisse?«
Er wirkte etwas weniger zuversichtlich, als er sagte: »So sicher, wie wir nur sein können. Wir haben die maschinellen und manuellen Ergebnisse in Stichproben miteinander verglichen. Aber niemand von uns ist ein Experte in diesem speziellen Bereich.« Seine Stimme festigte sich wieder. »Cipse ist nämlich unser Chefnavigator gewesen.«
Darauf erwiderte sie nichts. Sie nahm den letzten Schluck aus ihrer Flasche.
»Gut, Grye, ich glaube, es ist Zeit, daß ich…«
»Na, wo kann sich denn der alte Quid hier mal einen Schluck genehmigen?«
Die Stimme war tief und klang verrucht. Konsterniert drehte sich Sheen herum und sah ein breites, faltiges Gesicht vor sich; ein Grinsen legte verfaulte Zahnstümpfe frei, und schwarze Augen musterten abschätzend ihren Körper. Unwillkürlich zuckte sie vor dem Boney zurück und registrierte am Rande, wie Grye neben ihr fast die Nerven verlor. »Was… willst du?«
Der Boney strich über seinen sorgfältig geschliffenen Speer aus Knochen. Seine Augen weiteten sich vor gespielter Überraschung. »Wie, Schatz; ich bin gerade erst angekommen, und dann so eine Begrüßung? Hm?
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